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Allmende –

was für ein wundervoll seltsames,
leider selten genutztes Wort 

 

 

 

 

 

Liebe Blog-Leserinnen,
Sie sind diesem Begriff vermutlich schon begegnet. Man könnte Allmende als mittelalterlichen Rechtstitel auffassen: Alle Mitglieder einer lokalen Gemeinde haben das Recht, bestimmte Wege, Weideland, Waldflächen oder Wasserquellen zu nutzen. Es gehört allen in der Gemeinde, private Eigentümer gibt es nicht. Die Ressourcen werden kollektiv genutzt und überwacht.

Ein in der Neuzeit übersehener Vorteil von Allmende besteht darin, dass sie nachhaltig ist: Viele aufeinanderfolgende Generationen profitieren davon. In der Gegenwart sind kollektive Güter in dieser Art selten geworden, obwohl diese im europäischen Mittelalter verbreitet waren.

 

So wurde noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Bodenseefischerei durch eine Fischer-Allmende geregelt. Die Regeln der Bewirtschaftung wurden von allen Fischern (und ihren Vertretern) geschaffen. Alle hielten sich daran und hatten dadurch über Jahrhunderte hinweg ein Auskommen. Wenn das Vorkommen einer bestimmten Fischart abnahm, konnte zum Beispiel festgelegt werden, dass die Maschengröße der Netze größer sein musste. 

Junge Fische entkamen so. Nach zwei oder drei mageren Jahren stellte sich in der Regel wieder eine zufriedenstellende Fangmenge für alle Fischer ein.1 Wenn Menschen kooperieren, führt das zum langfristigen Erfolg.

Demgegebenüber steht die "moderne" Auffassung, dass es bei Allmendegütern zwangsläufig zur Tragödie (The tragedy of the Commons nach Garrett Hardin) muss. Verständlich, wenn man den Menschen als konsequent handelnden homo oeconomicus ansieht: Ungezügelte individuelle Freiheit bei Allmendegütern führt zur Übernutzung und letztendlich zum Ruin für alle. 

 

Wie ist das mit Wissenschaft?

Wissenschaft funktioniert wie eine Wissensallmende. Denn sie gedeiht aufgrund ihrer Offenlegung von Daten und Verfahren. Das sichert Korrekturen von Fehlern oder Verzerrungen und ermöglicht ein weitgehend gesichertes Wissen in einer modernen Informationsgesellschaft.

Richtig, dieses Ideal wird nicht immer erreicht – Forschungszugänge werden reglementiert, nichtgenehme Studienergebnisse verschwinden in Schreibtischen etc. Doch ist ebenso klar, eine systematisch versteckte Wissensprdoduktion oder eine nur privat vorteilhafte Nutzung beeinträchtigen negativ das Wissen und zerstören die Nachhaltigkeit.

 

Wie ist das mit KI?

Das Verhältnis von privater zu öffentlicher Finanzierung spiegelt große Ungleichheit wider. Es liegt irgendwo zwischen 10:1 oder 100:1. Regelungen werden daher von den Tech-Giganten als hemmend empfunden und umgangen. Oder aufgrund ihrer geballten Marktmacht vorerst überhaupt ignoriert.

Exemplarisch zeigt dies ein aktuelles Beispiel. Es betrifft eine Pseudo-Veröffentlichung in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature. AlphaFold 3, eine KI-Applikation von Google Deep Mind, prognostiziert Interaktionen zwischen Proteinen und anderen Molekülen.2 AlphaFold 3  hat das Potenzial, die Entwicklung von Medikamenten zu revolutionieren. Unter den angegebenen Schlagwörtern ist auch Drug Discovery zu finden. Dies gibt Auskunft über das im Hintergrund anvisierte ökonomische Ziel.

Dennoch ist dies großartig – bessere Medikamente sind in Sicht! Leider gibt es Einschränkungen, die Sorgen bereiten:

  1. Das Modell und der Programmcode werden geheim gehalten. Wie diese Applikation arbeitet, lässt sich nicht überprüfen, wie fundiert die Ergebnisse sind. Fundamentale wissenschaftliche Gütekriterien wie Offenheit und Überprüfbarkeit werden nicht beachtet.

  2. Das ethisch Bedenkliche ist außerdem, dass dieses KI-Modell mit Daten und Verfahren aus öffentlich zugänglichen Datenbanken trainiert wurde. Also trainiert mit Daten und Verfahren, die großteils im Rahmen öffentlich finanzierter Forschung entwickelt wurden. 

  3. Ein offener Brief, der bereits von mehreren hundert Forscherinnen unterschrieben wurde, prangert dies an.

 

Fazit: Die Wissensallmende wird privat übernutzt. Wir blicken in eine Arena, in der ein Kampf um Marktanteile und Gewinnchancen zwischen wenigen Groß-Gladiatoren stattfindet, sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil für uns alle.

PS: Noch etwas kommt einem in den Sinn: Das Mittelalter war aus Sicht der Nachhaltigkeit moderner als die Gegenwart. In der Zukunft wird eine kollektiv verantwortliche Ressourcennutzung von Boden, Wasser, Luft und Information (!) aus schierer Not heraus wieder in das Zentrum von regionalen, nationalen und übernationalen Institutionen rücken.

 

8. Juni 2024

 

1 Kehnel, A. (2021). Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit. München: Karl Blessing. Kapitel Commons und die Kunst, Externalitäten zu internalisieren. S. 63-95.

2 Abramson, J./Adler, J./Dunger, J. et al. (2024). Accurate structure prediction of biomolecular interactions with AlphaFold 3. Nature. https://doi.org/10.1038/s41586-024-07487-w.

 

 

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