KI-Erfahrungen wertvoller als Bachelor-Abschluss?
Jeder zweite (49%) einer Befragung von 800 amerikanischen Führungskräften und Personalverantwortlichen gab im April 2024 an, ChatGPT-Kenntnisse und Erfahrungen im KI-Umgang seien wichtiger als ein College-Abschluss1 2.
Fabian Stephany, Arbeitsmarktforscher an der Universität Oxford, erklärt: „Eine umfassende Analyse von Jobofferten und Gehaltsangaben aus Großbritannien hat ergeben, dass der Gehaltsaufschlag für KI-Skills rund 16 Prozent beträgt. Das ist fünfmal mehr als der durchschnittliche Wert aller anderen Fähigkeiten. […] Tatsächlich ist bei KI-Jobs kaum noch ein Gehaltsvorteil für Akademiker zu erkennen.“3
Fazit: Die theoretische Fundierung von Fähigkeiten und Wissen wird weniger wichtig. Aufgrund der rasanten KI-Entwicklung rückt das Beherrschen von Szenarien der realen Welt in den Vordergrund. Das selbständige Lernen und fortwährende Entwickeln neuer Fertigkeiten ist ausschlaggebend. Das wiederum verstärkt Kreativität und Produktivität.
—> Brennt Feuer am Dach unserer Unis?
Ja und Nein!
Darum Nein:
Ein Knackpunkt liegt in den genannten Begriffen KI-Kenntnisse und Erfahrungen. Wer nie erfahren hat,
- was seriöse Quellen sind,
- wie nützlich Theorien und Modelle sein können,
- wie wichtig aber auch deren Grenzen und Geltungsbereiche sind,
- wie Fallgruben in (nicht präzisen) Definitionen von rasch formulierten Begriffen liegen,
kann den Output von KI nicht wirklich einschätzen und beurteilen. Er wird den Output für bare Münze halten. Auch wenn der (tendenziell denkbefreite?) Anwender gelernt hat, irgendwie passende KI-Prompts zu verfassen.
Insofern gleicht die Begeisterung von Führungskräften und Personalverantwortlichen für KI den Modewellen im Bereich betriebswirtschaftlicher oder technologischer Innovationen. Jahr für Jahr wird eine neue und quietschende Marketing- oder Technologie-Sau durch das globale Dorf getrieben: Big Data, Digitale Transformation, Customer Relationship Management, Nachhaltigkeit, Corporate Social Management, Agiles Projektmanagement, Internet der Dinge, Blockchain-Technologie, Plattformökonomie .... Nicht, dass die Inhalte dieser gehypten Konzepte falsch wären, nur lehrt die Erfahrung, dass sie oft eine ganze Generation und länger benötigen, bis sie greifen.
Wenn man zum Beispiel liest, wofür gemäß der erwähnten Befragung die genKI in den US-amerikanischen Unternehmen eingesetzt werden soll, dann ordnet sich einiges deutlich kleiner ein: Dateneingabe, Schreiben von e-Mails, Aufgabenlisten, Recherchen, Kundensupport.
Darum Ja:
Die Ziele der tertiären Bildung changierten schon immer zwischen (allgemeiner und erkenntniserweiternder) Bildung und (beruflicher) Ausbildung. Die rasante Entwicklung der genKI und die breite Übernahme durch Unternehmen, Organisationen und Gesellschaftsgruppen aller Art werden die Waage in Richtung Ausbildung drücken.
Abzuwarten bei der KI-Thematik nach dem Motto „Schau ma moi, dann seng ma scho" wird sowohl den Unis als auch den Studierenden schaden.
18. Mai 2024
1 intelligent.com, learning how to learn (10.04.2024). Half of business leaders say chatgpt experiences is more valuable than a college degree. https://www.intelligent.com/half-of-business-leaders-say-chatgpt-experience-is-more-valuable-than-a-college-degree/
2 Dies entspricht im europäischen Hochschulsystem einem Bachelor-Abschluss.
3 Von Elm, K. (27.02.2024). Stephany im Interview: KI-Skills bringen so viel wie ein Doktortitel. Handeslblatt. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/interview-mit-fabian-stephany-ki-skills-bringen-so-viel-wie-ein-doktortitel-03/100012315.html
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