„There is no free lunch in the Universe“
ist ein geflügeltes Wort, das in verschiedenen Zusammenhängen oder Disziplinen gerne verwendet wird, etwa in Wirtschaft, Physik oder Mathematik1. Soll heißen, es gibt nichts umsonst2.
Evolution
Apfelbäume schenken uns Menschen ihre süß-sauren Früchte nicht, weil wir so lieb sind oder die evolutionär höchste Stufe auf dieser Erde erreicht haben. Sie tun das, weil sie über Millionen Jahre lernten, dass mobile Lebewesen die Früchte verspeisen, samt enthaltenen Samen.
Diese Samen (Apfelkerne) werden woanders ausgeschieden – praktischerweise zusammen mit einer sie umgebenden Packung Dünger. Voilà, die Samen keimen und wachsen zu neuen Apfelbäumen an einem anderen Ort heran. Wir mobile Wesen haben etwas geschenkt erhalten, leisten etwas dafür.
Aus der evolutionär langfristigen ‚Sicht‘ der Bäume sind wir Transporteure, die durch etwas Fruchtzucker leicht zu manipulieren sind. Wir nehmen die Rolle nützlicher Lastenträger ein, die das Baumgenom verbreiten.
Sommerliche Zitronentarte
Gratis- oder Bezahlinternet?
Das Internet hat uns in den letzten Jahren Ähnliches gelehrt. Wir bezahlen für die „Gratis“-Nutzung von Social Media-Plattformen im Nachhinein mit unseren Daten. Wir zahlen mit den elektronisch festgehaltenen Inhalten und Abbildern von uns selbst. Unsere Vorlieben und Schwächen werden von den Marketing-Abteilungen der Unternehmen in der Zusammenschau verschiedener Quellen punktgenau erkannt und ohne Rücksicht genutzt, um uns maßgeschneidert etwas zu verkaufen. In der Regel Unnötiges. :(
Es schaut aus, als wäre dieses Konsumiere-jetzt-und-bezahl-später-ohne-dass-du-es-mitkriegst-Phänomen der gegenwärtigen Internetwelt nur eine erste Runde gewesen. Die generierende KI läutet nun die zweite und vermutlich heftigere Runde ein. KI erzeugt einen Inhalt, der Fakt und Fiktion untrennbar fusioniert.
In diesem Verhältnis tut sich eine Schere auf: Fakten sind begrenzt, Fiktionen unbegrenzt. Fakten, also authentische Inhalte, werden zum Engpass, heiß umworben und umkämpft von den Netz-Giganten.
Das NoFreeLunch-Theorem rückt wieder in den Fokus, denn die generierende KI ist teuer. Entweder wir Nutzer zahlen (A) sofort einen Preis für den Zugang in die elektronische Welt und sehen relativ wenig umgefärbte Realität, oder wir meinen (B), die globalen Großtech-Player austricksen zu können, und stürzen uns (vorerst) ohne Bezahlung in die globale KI-Gischt von geschäumten Texten, Bildern und Tönen.
Natürlich male ich schwarz-weiß. Jedoch geht es darum, zentrale Antagonismen herauszuarbeiten. Es ist dann die Sache jedes Einzelnen, wie er oder sie mit diesen Extrempositionen oder Zwischenstufen umgeht.
Strategie "Bezahlung sofort"
Als Beispiel für die Strategie (A) ist Apple anzuführen. Die Anschaffungspreise für die Macs, iPads und iPhones sind deutlich höher als für ähnliche Geräte der Konkurrenz. Auch die Abos innerhalb der Apple-Welt generieren kontinuierlich immense Einnahmen.
Apple rechtfertigt die hohen Preise mit einer harmonisierten Hard- und Software (da alles aus einer Hand ist) und etwa einer damit einhergehenden erhöhten Datensicherheit. Im Juni 2024, gerade als die kritischen Stimmen („Apple hat die KI-Welle verschlafen“) unüberhörbar wurden, verkündet Apple eine Integration von KI auf seinen Geräten.
Eine Integration, die die Datensicherheit großschreiben soll: So werden einige KI-Funktionen nur lokal am Gerät laufen. Weitere Funktionen stehen innerhalb der iCloud auf Apple-Servern zur Verfügung. Dafür sollen eigene KI-Chips entwickelt werden. Erst in einer dritten Ebene werden Anfragen an die global verfügbare KI gestellt. Klingt aus Datensicht im ersten Moment überzeugend.
Da wäre nur ein Haken: Als strategischen KI-Partner hat sich Apple OpenAI ausgesucht. Für OpenAI unter Sam Altman als CEO steht Sicherheit in der Prioritätenliste nicht an oberster Stelle, wenn man veröffentlichten Interviews ehemaliger Mitarbeiter:innen Glauben schenken darf. Es wird spannend sein zu beobachten, welche Ergebnisse diese Kooperation liefern wird.
Strategie "Offener Zugang"
Als Beispiel für die Strategie (B) kann Meta genannt werden. Meta besitzt mit den drei bis vier Milliarden Nutzer:innen von Facebook, Instagram und Whatsapp einen riesigen Datenpool. Einen Datenpool, der insbesondere für die trainingsdatenhungrige KI von existenzieller Bedeutung ist.
Werden Texte, Bilder und Videos von Nutzern aus ihrem Alltagsleben für Trainingszwecke genutzt, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass authentische Daten, die nicht oder nur geringfügig verändert wurden, als Antworten gespiegelt werden. Was als eine Vorform von Identitätsdiebstahl aufgefasst werden kann. Die Nutzer sehen sich selbst dabei zu, wie sie etwas tun, dass sie nie gemacht haben.
Dies belegt, dass in dieser Strategie Nutzer für seine Internet-Aktivitäten mit seinem Selbst bezahlt. Beweisen die zahlreichen öffentlichen Beteuerungen von Mark Zuckerberg, Datensicherheit ernst zu nehmen, eine Umkehr bisheriger Meta-Geschäftspraktiken oder nur ein Bemühen, das Problem zu veschleiern? Die ebenfalls regelmäßigen und einseitig von oben diktierten Änderungen der Nutzungsbedingungen von Facebook und Co. zeigen, dass alles in Fluss ist. Und ob die Aktionäre von Meta tatsächlich zulassen, dass täglich Gratis-Mittagessen (free lunches) an Milliarden von Menschen ausgeteilt werden?
Fazit
Wir haben drei Optionen: (A) Wir zahlen bewusst mittels Euro, Dollar oder schwedischer Kronen beim Eintritt in die KI-gestaltete Welt für deren Wunder. (B) Wir zahlen unbewusst mit uns selbst als barer Münze im Strudel der Geschehnisse in der KI-geänderten Welt. (C.) Wir mischen beide Strategien.
29. Juni 2024
PS:
In einer weiteren, gegenwärtig vorhandenen strategischen Variante (D) sind noch Reste der ursprünglichen Begeisterung, Freude und Motivation für ein freies und die Menschheit förderndes Internet enthalten. Diese Strategie zeigt sich teilweise bei Betriebssystemen wie Linux oder Open Access-Ansätzen in Wissenschaft und Internet-Plattformen.
Aber auch hier ist ein Kippen auf die andere Seite immer möglich, wie OpenAI vorzeigt.
1 Hier hat es das geflügelte Wort sogar zu einem Lehrsatz geschafft, dem NFL-Theorem (NoFreeLunch Theorem). Dieser Lehrsatz wurde 1995 von Wolpert und Macready in „No free lunch theorems for search“ propagiert und verweist in deterministischen Bereichen auf die begrenzte Wirksamkeit von einzelnen Algorithmen zur effektiven Such-Optimierung. Inhärente Zielkonflikte in jedem System sind jedoch kaum zu überwinden.
2 In der anschließenden Diskussion in der Informatik meinten einige Wissenschaftler, dass bei stetigen Zusammenhängen, bei Blackboxen und in einem evolutionären Kontext „free appetizer“ doch möglich sein können. Womit sich ein Fenster für die generative KI aufmacht. Eine Zusammenfassung ist zu finden in Burlacu, B. (2017). Tracing of Evolutionary Search Trajectories in Complex Hypothesis Spaces. Dissertation in technischen Wissenschaften an der Johann Kepler Universität Linz.