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Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution1

Theodosius Dobzhansky

 

Viele haben sicher schon einen Teich voller Fische gesehen, die sich um eben ausgestreutes Futter balgen: Aufgerissene Mäuler und die Oberfläche peitschende Schwanzflossen werden sichtbar. Dieser Aufruhr erzeugt konzentrische Wellen, die bis an den Strand schwappen.

Die beiden Evolutionsbiologen Maturana und Varela hatten vielleicht eine solche Szene vor den Augen, als sie 1973 eine neue Theorie präsentierten; jene der organizational Ecology. Sie betrachten Organisationen als Lebewesen, die um Ressourcen streiten. Daraus entwickelte sich eine wissenschaftliche Teildisziplin, die im Deutschen Populationsökologie von Organisationen heißt. Organisationen werden als Populationen verstanden, die sich in einem ökologischen System (der relevanten Umwelt) behaupten oder auch nicht.

Private Unternehmen, öffentliche Einrichtungen, Bürokratien, NGOs, Kirchen, Gewerkschaften, die EU oder die Mafia sind Beispiele für Organisationen. Sie werden gegründet, nehmen Einfluss auf uns, wachsen oder gehen unter.

 

Überleben und Missionen

Der Überlebensimpuls ist tief in den Regelungen von Organisationen verankert. Er führt fast automatisch zum Bestimmen neuer Ziele und Schaffen von Aufgabenfeldern. So, wie wir es vom kapitalistischen Geschehen der Konkurrenz zwischen privaten Unternehmen gewöhnt sind. Und nein, in heutigen Zeiten sind auch staatliche Organisationen mit einem erreichten Stand nicht zufrieden. Sie wollen (oder müssen aufgrund neuer Vorgaben) einflussreicher werden. Sie vermehren ihre Aufgaben und entwerfen sich schon mal neu.

 

Die treibt Mission (!) treibt sie an. Davon leiten sie Aufgaben ab und bedienen nicht selten Sonderinteressen, ist ja für einen guten Zweck. Zum inneren Erhalt haben sie sich selbst ein Regelwerk gegeben; gelegentlich wurde diese von außen oktryiert. Ihre Organe, Vorstände, Sachbearbeiter, Funktionäre oder Priester und Bischöfe denken und handeln im Alltag gemäß einem Arsenal eingeschliffener Praktiken.

Langfristig behaupten sich Organisationen im Wettbewerb dann, wenn sie ihre Strukturen und Kultur den Veränderungen anpassen. Selten geht der Impuls für Veränderungen von der obersten Spitze aus. Vielmehr durchleuchten die Manager von Untereinheiten die spezifische Umwelt nach Gelegenheiten, Ressourcen aber auch nach Risiken3.

 

Ein erfolgreiches Ringen um die besseren Plätze wird durch Abdrängen anderer Organisationen erreicht. Die Methoden dieses Ringes sind zahlreich, sie können – gesellschaftsfreundlich – aus Innovationen bestehen oder – gesellschaftsfeindlich – aus dem Aufstellen von Markt-Eintrittsbarrieren für Neuankömmlinge.

Sehr wirkungsvoll ist dieses Errichten gesetzlicher Hindernisse. Öffentliche Verwandte wie gesetzgebende Körperschaften machen regelmäßig mit. Um diese langfristigen Geschehnisse sichtbar zu machen, benötigt man einen Zeitraffer. Im Folgenden nun der Versuch, einen Zeitraffer mittels eines Textes zu präsentieren.

 

FHs als neue Fische im Teich

Die Universitäten in Österreich blicken auf eine fast 700 Jahre währende und ruhmreiche  Geschichte von Forschung und Lehre zur höheren Bildung zurück. In den 1990er Jahren werden Neuankömmlinge in der höheren Bildung gegründet: die Fachhochschulen (FHs). Sie besaßen von Haus aus einen engen Fokus auf praxisbezogene Anwendung.

Das Fachhochschulgesetz 1993 definiert die zwei erstgenannten Ziele: „1. die Gewährleistung einer praxisbezogenen Ausbildung auf Hochschulniveau;“ (§ 3 Abs 1 Z 1 FHStG) und die Ausbildung von Fähigkeiten, „[..] die Aufgaben des jeweiligen Berufsfeldes dem Stand der Wissenschaft und den […] Anforderungen der Praxis entsprechend zu lösen;“ (§ 3 Abs 1 Z 2 FHStG).

 

 

Aus Sicht von Universitäten, schwimmen nun neue Fische im Teich der höheren Bildung – wie schlecht! Aus Sicht der Populationsökologie von Organisationen4 wird verständlich, was kommen musste und auch kam:

1. Universitäten blocken in der Praxis über Jahre die gesetzlich geforderte Durchgängigkeit von FH-Absolventen; sie stellen zusätzliche Anforderungen. Und werfen Prügel zwischen die Beine der Studierenden. 

Ein Beispiel erlebte ich vor zwei Jahrzehnten nach dem Start als Wissenschaftscoach: Ein Absolvent einer technischen Fachhochschule wollte an einer Wiener Universität dissertieren. Die Chancen auf Erfolg erschienen gering, die (unmotiviert wirkenden inhaltlichen und bürokratischen) Hürden stapelten sich. Jedoch war er zäh und hatte es nach einigen Jahren geschafft.

2. Die Kronjuwelen werden den Fachhochschulen verweigert: das Promotionsrecht, das Recht zum Verleihen eines Doktorgrades. Die Argumente lesen sich in letzter Zeit zunehmend hanebüchern, wird doch an vielen FHs vorzeigbare angewandte Wissenschaft betrieben.

3. Das überarbeitete Universitätsgesetz 2002 weist plötzlich Aufgaben auf, welche den FHs vorbehalten waren, so die direkte und spezifische Ausbildung in einem Beruf. Das Gesetz formuliert Ziele, die unfassbar weit gefasst sind: „[Universitäten sind] hierdurch auch verantwortlich zur Lösung der Probleme des Menschen sowie [sind sie berufen] zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beizutragen.“ (§ 1 UG 2002, in der Fassung vom 1.6.2021). 

Verantwortung zu tragen für die Lösung von Problemen der Menschen? Für einzelne, viele oder alle Probleme? Die Unis sollen (als Sozialarbeiter:inen?) gesellschaftliche Risse kitten. Klar, sie müssen auch für die natürliche Umwelt dasein. Welch vermessene Ansprüche! Aber neue Gewässer locken, neues Futter winkt; die Unis fanden schnell einen Namen für die neuen Aufgaben: Third Mission.

Kein Stein bleibt für alle Zeiten auf dem anderen; Geologen wissen das. So läuft auch dieses Spiel. Die generative KI mischt nun die Karten neu. Unis haben die schlechteren Karten, FHs die besseren. Demnächst dazu mehr.

3. September 2024

 

1 Dobzhansky, T. (1973). Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution. The American Biology Teacher, 35(3), 125-129.

2 Maturana, H. R., & Varela, F. J. (1973). De Maquinas y Seres Vivos: Una Teoría Sobre la Organización Biológica. Santiago: Editorial Universitaria.

3 Seite 930 des als eine Gründungsarbeit von Organizational Ecology geltenden Artikels: Hannan, M. T., & Freeman, J. (1977). The Population Ecology of Organizations. American Journal of Sociology ·Vol 82, No. 5 (March 1977), S. 929-964.

4 Hannan, M. T., & Freeman, J. (1984). Structural Inertia and Organizational Change. American Sociological Review, Vol. 49, No. 2. (April 1984), S. 149-164.