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KI und Selbständigkeit (2)

 

 

 

Ein zentrales Ziel höherer Bildung besteht darin, selbst etwas zu erkunden, zu erforschen und zu erkennen. Und damit nicht von anderen abhängig zu sein. Das Universitätsgesetz (UG) schreibt für Masterarbeiten und Dissertationen als einen der zentralen Punkte Selbständigkeit vor:

„Diplom- und Masterarbeiten sind die wissenschaftlichen Arbeiten in den Diplom- und Masterstudien, die dem Nachweis der Befähigung dienen, wissenschaftliche Themen selbstständig sowie inhaltlich und methodisch vertretbar1 zu bearbeiten.“ (§ 51, Abs 2 Z 8 UG)

 

Noch verschärft sind diese Vorgaben in Sachen Selbständigkeit für Dissertationen: „Dissertationen sind die wissenschaftlichen Arbeiten, die anders als die Diplom- und Masterarbeiten dem Nachweis der Befähigung zur selbstständigen Bewältigung wissenschaftlicher Fragestellungen1 dienen.“ (§ 51, Abs 2 Z 13 UG)

 

Was heißt selbständig?

Graben wir in der Vergangenheit. Klar, nicht immer benennen etymologische Bedeutungen auch heute den Kern einer Sache, aber aufschlussreich sind sie oft. Und diesmal, denke ich, treffen vergangene Assoziationen ins Schwarze: selbselbo im Althochdeutschen oder sselboisselboi beispielsweise im Venetischen2.

Wir sehen hier Verdoppelungen. Um das Gewicht der Behauptung zu unterstreichen, es wirklich selbst gewesen zu sein, wird das Wort selbst zweimal gesprochen oder geschrieben. Einfach und genial, wie unsere Vorfahren zur Sache kamen. :)

Wie ist das mit der KI? Wird sie in Forschungsarbeiten verwendet, kämen gemäß diesem Verdoppelungsprinzip semantische Begriffe wie KI-selbst oder selbst-KI in Frage. Den Gedankengang zu Ende gedacht, käme eine Bearbeitungskette wie selbst-KI-selbst in Frage.

 

 

Ein selbst-selbst gemachtes Salsa zum Frühstück. ;)       

 

So kabarettistisch das klingen mag, aber solche Wortungetüme zeigen eine gangbare Richtung auf. Herkömmliche Zitierkonzepte basieren auf einzelnen Textstellen, die zitiert werden. Diese Konzepte funktionieren nach dem End-of-pipe-Prinzip: Nachdem eine entsprechende Literaturstelle als passend für das zu bearbeitende Thema erkannt wurde, wird sie zitiert. Aus. 

KI aber ist so nicht in den Griff zu kriegen. Erste Zitierregeln, die nach wie vor auf diesem End-of-pipe-Prinzip basieren und die kurz nach dem Start von ChatGPT im November 2022 als Möglichkeiten propagiert wurden, funktionieren weder theoretisch noch praktisch3.

 

Prozess statt End-of-pipe in der Forschung

Der entscheidende Schritt ist, den gesamten Prozess und nicht nur das Endergebnis zu betrachten. Und dies entsprechend zu protokollieren, wenigstens in Form zentraler Prozessschritte. Schon bisher  wurden schriftliche Arbeiten am Ende zumeist idealisiert dargestellt, als wäre von Anfang an ein Meister am Werk gewesen.

Wir kommen also weg von einer gekünstelten Präsentation. Der Weg wird frei zu einer realitätsnahen Darstellung des Forschungsprozesses.

Die unternommenen Schritte gestalten direkt das Ergebnis. Das war schon bisher wissenschafstheoretische Kernerkenntnis. Das zentrale Wissenschaftsgütekriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit in den Soft Sciences und objektive Überprüfung in den Hard Sciences wird so eine unerwartete Vitalisierung erfahren.

5. November 2024

 

PS: Vorschläge zur prozessorientierten KI-Zitierweise folgen.

 

1 Von mir hervorgehoben.

2 Kluge (2011). Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. (25., durchgesehene und erweiterte Auflage). Berlin: De Gruyter. S. 841. 

3 Zwei grundsätzliche Möglichkeiten zum Nachweis und zur Dokumentation von KI-Verwendung werden angeboten: Den eingesetzten Chatbot als Autor für eine Textstelle zu nennen oder die Textstelle als KI-editiert zu markieren siehe meinen Blog-Beitrag vom 5. April 2024.