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Die "Third Mission" von Universitäten

  

 

 

Werden Aktivitäten, Dokumente und Aussendungen von Universitäten aus der Distanz betrachtet, so drängt sich eine Schlussfolgerung auf: Forschung und Lehre sind nicht mehr das Um und Auf deutschsprachiger Universitäten. Die Humboldt’sche Universität mit ihren zwei fundamentalen Aufgaben hat ausgedient. Obwohl seit Generationen erfolgreich praktiziert und international nachgeahmt, wird die Humboldt’sche Universität Schritt um Schritt verwässert.

Denn zur Forschung (der ersten Aufgabe, die nun First Mission heißt) und zur Lehre (der zweiten Aufgabe, die nun Second Mission heißt) gesellte sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine dritte Aufgabe. Sie ist breit und umfangreich angelegt, und – wie der Begriff „Mission“ vermuten lässt – spielt Moralisch-Ethisches neben neoliberalen wirtschaftlichen Aspekten eine große Rolle.

Die Universität soll Industrie und Gesellschaft fördern sowie kulturelle, soziale und ökologische Projekte durchführen. Etwas detaillierter enthalten diese zusätzlichen Third-Mission-Aufgaben Folgendes:

  1. Förderung der Industrie durch Innovation, Patentierung und wirtschaftliche Verwertung von Forschungsergebnissen;
  2. Zeigen von gesellschaftlichem Engagement und Verantwortung für sowie Partizipation an sozialen Projekten;
  3. Förderung der kulturellen Entwicklung durch Organisation von Ausstellungen und öffentlichen Vorträgen;
  4. Implementierung von Inklusion und Nachhaltigkeit am Campus. 1

 

Diese vielfältigen Aufgaben verleiten zur Überlegung, dass diese Third Mission eigentlich eine Fourth, Fifth und Sixth Mission bedeutet. Dadurch soll die Universität zum Akteur in vielen Bereichen der Gesellschaft werden. Die Universität soll durch ihre Ressourcen und ihr Wissen zur Lösung von sozialen Herausforderungen beitragen, denn sie schultert nun auch eine Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Universität müsse zu einer transferorientierten Kommunikation wechseln. Ziel ist es, die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit global zu steigern. Dies soll durch Anwendung des akkumulierten Wissenskapitals geschehen, um die Produktivität zu verbessern etc.

Bravo, so viele schöne Worte, so viel Wunschdenken! Im Überschwang dieser klingenden Begriffe wird ein fundamentales Prinzip unserer Welt übersehen: Es ist unmöglich, auf mehreren Kirtagen gleichzeitig zu tanzen. Das Prinzip der Superposition in der Quantenphysik, in der alle Möglichkeiten gleichzeitig vorhanden sind, gilt für unsere übliche Welt, dem Mesokosmos, nicht.

Oder gab es einen Durchbruch und es wurde an den Universitäten eine Zauberformel entwickelt – irgendwas mit Stringtheorie und elf Dimensionen? Gemäß dem Text auf der Website der größten Universität Österreichs, der Universität Wien, soll für einen Bereich der Third Mission gelten: Unsere Weiterbildungen sind forschungsbasiert, interdisziplinär, hochqualitativ, international und praxisorientiert.“2 Also doch, die eierlegende Wollmilchsau hat sich aus den vielen, ursprünglich zusammengerollten Dimensionen der Stringtheorie materialisiert.

 

Lassen wir das als übliches Werbe-Geplänkel durchgehen, wie wir es bis zum Überdruss gewöhnt sind. In Österreich gewährte 2002 das Universitätsorganisationsgesetz den öffentlich finanzierten Universitäten eine hohe Autonomie. Und sie nutzen es auch. Sie diversifizieren, wie es Betriebswirtschaftler sagen. Die ersten beiden neuen Aufgaben der oben skizzierten vier werden  hinsichtlich ihrer Auswirkungen anhand des Beispiels der Universität Wien näher betrachtet.  

 

Erste Aufgabe der Third Mission: Förderung der Industrie

Die Uni Wien hat ein Transferzentrum eingerichtet. Dieses Zentrum soll den Technologie- und Innovationstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft unterstützen. Und offensichtlich macht das die Wiener Uni gut. So bewertet das globale Ranking von Times Higher Education (THE) Gesamtuniversitäten gemäß Indizes, die alle drei „Missionen“ berücksichtigen.3 Das Ergebnis 2024: Die Uni Wien wird mit dem Rang 119 ausgewiesen. Weltweit gesehen ist dies ein guter Platz. Details jedoch offenbaren eine Zusammensetzung der einzelnen Bereichsindizes, die nachdenklich stimmt. Der Rang 119 ist durch einen erheblichen Anstieg eines von fünf Bereichsindizes, nämlich jenes der Industrie (!), bestimmt.

 

Abbildung 1: Ranking-Entwicklung der Universität Wien bis 2024 mit Einzeldarstellung des Detail-Index Industrie

 

Die Uni Wien hat in den letzten beiden Jahren die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft intensiviert. Was einen erheblichen finanziellen Vorteil inkludiert – es fließen Drittmittel. Schön. Ich stelle mir aber Fragen: Wird mühsam und mit hohen Investitionen erarbeitetes Know-how unter der Hand verscherbelt? Werden beispielsweise langfristig wirkende Früchte aus der Grundlagenforschung kurzfristig gegen Kleingeld zugunsten von Realisierungen der angewandten Wissenschaften geopfert? So bringt etwa der Titel einer finnisch-amerikanischen Arbeit dieses Vorgehen auf den Punkt: „Kommerzialisierung der akademischen Forschung“4.

 

Zweite Aufgabe der Third Mission: Engagement in der Gesellschaft

Aufgabe hier ist nicht eine breit und tief gegründete Bildung, sondern definitionsgemäß eine Berufsausbildung. Die Erfordernisse des jeweils aktuellen Arbeitsmarktes diktieren, was Unis durchführen sollen. So bietet das Postgraduate Center der Uni Wien 70 maßgeschneiderte Programme an: „Postgraduate programs from the University of Vienna will provide you with specialized knowledge and give you a significant advantage in the employment market.“5

 

Hinweise dafür, dass Universitäten solche Zentren betriebswirtschaftlich als Profitcenter begreifen, sind zahlreich. Ein Profitcenter ist eine organisatorische und tendenziell selbständige Einheit, die Gewinne an das Gesamtunternehmen abliefert. In der simplen Version wird dies durch erhöhte Einnahmen und reduzierte Ausgaben erreicht.

Auf der Startseite des Transferzentrums heißt es verschämt: „Please note that the tuition fees [fett im Original] for our programs do not comply with the general tuition fee for studying at the University of Vienna.“5 Das bedeutet: Aufpassen, es wird teuer! So viel zur Einnahmenseite.

Auf der Ausgabenseite hat man viele Hebel. Aus den oben angeführten vierzehntägigen Veranstaltungen zur gemeinsamen Forschung und Lehre wird im System der Third Mission ein Methoden-Block, der an einem Wochenende gelegt ist, da die Studierenden sind berufstätig. Solche intensiven 2x8-Stunden-Blocks verhindern jedoch aktivierendes kognitives Lernen.

Kommt es zu einem gerade bei Forschungsmethoden zentralen Nach- und Weiterdenken, um ein tiefes Verständnis zu schaffen? Fehlanzeige! Die zynische Botschaft lautet: Mach dir allein zu Hause einen Reim darauf, gib ein strukturiertes Exposé zur geplanten Forschungsarbeit ab, lade ein oder zwei Jahre später eine (vor allem formal perfekt wirkende und formatierte) wissenschaftlichen Arbeit hoch.

Es ist unter den aktuellen Vorgaben und Strukturen nicht anders möglich. Nebenberuflich tätige LektorInnen sind überlastet und rationieren ihre Betreuungszeit. Denn diese externen BetreuerInnen erhalten ein Butterbrot als Lohn, dazu die Ehre, sich UniversitätslektorIn auf der Visitenkarte nennen zu dürfen.

Als Resultate können gesehen werden: (1) Diese Transfercenters sind wirtschaftlich ertragreich für die Universität. (2) Es entstehen Minderwertigkeitsgefühle bei in ihren Berufen bereits erfolgreichen Erwachsenen. (3) Es werden Masterthesen geschrieben, die keiner ein zweites Mal lesen will. Sieht so „gesellschaftliches Engagement“ aus?

  

Third-Mission-Folge: Forschung und Lehre als leidtragende Bereiche?

Was tut sich bei der jahrhundertealten Hauptaufgabe, der Forschung, der First Mission? Im direkten Vergleich der Uni Wien mit den sieben im Ranking benachbarten Unis sind die Punkte für Forschungsqualität der Uni Wien geringer:

 

  

Abbildung 2: Forschungsqualitäts-Index weist 77 Punkte für die Universität Wien aus, die benachbarten Unis liegen höher und zwar zwischen 84 und 91

 

 

 

Noch deutlich schlechter ist das Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden in der Second Mission, der Lehre:

 

 

Abbildung 3: Das Verhältnis an der Universität Wien ist 37 Studenten pro Lehrenden. Die benachbarten Universitäten weisen deutlich bessere Werte auf (zwischen 10 und 20 pro Lehrenden).

 

Und selbst das spiegelt nur eine oberflächliche Betrachtung wider. Mit rund 80% wird die überwiegende Mehrheit der Lehre von befristetem Personal wie Assistenten, Prä- und Postdocs, Drittmittelbeschäftigten und Lektoren getragen.5 Kein Wunder, dass in Sachen Lehre der THE-Index der Uni Wien im Vergleich zu den benachbarten Universitäten ungünstigere Ergebnisse aufweist:

 

Abbildung 4: Für die Lehre gibt es 49 Punkte für die Universität Wien; alle anderen benachbarten Unis liegen zwischen 51 und 56 Punkten

 

Man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Uni Wien an Ausgaben für das Lehrpersonal spart. Ich konnte in den 1980er- und 90er Jahren noch zweiwöchig stattfindende Diplomanden- und Dissertantenseminare erleben. Das sind Seminare, in denen First Mission und Second Mission integriert auftreten. In diesen wurde mit den Professoren, Assistenten und Studierenden gemeinsam das Design und die Methoden der Forschungsarbeiten besprochen sowie Ergebnisse interpretiert und diskutiert. Eben gemeinsam als forschende Gruppe mit gemeinsamen Aufgaben. Das spiegelt die universitas im ursprünglichen Sinn einer Humboldt‘schen Universität wider. Veranstaltungen mit einer solchen Qualität gibt es noch. Doch nicht überall ist Universität drinnen, wo Universität draufsteht, siehe obige Anmerkungen zur Durchführung von Lehre und Forschung im Rahmen Third Mission.

 

Third-Mission-Folge: KI und Ranking?

Die KI wird beim Faktor Third Mission kräftig mitmischen, insbesondere wenn Universitäten auf diese denk- und handlungsverändernde Innovation nicht, zu wenig oder uneinheitlich reagieren. Diese über Jahrzehnte „erarbeitete“ Effizienz universitärer Aktivitäten gerät nun ins Wanken. 

Kommen wir wieder zurück auf das THE-Ranking der Universität Wien. Und zwar auf die hohen Werte für den Internationalen Ausblick. Diese waren auch ausschlaggebend für den guten Rang. Dieser Index jenseits des nationalen Horizonts könnte bald wieder sinken. Zwei Gründe sollen hierfür genannt werden:

Erstens beruht der internationale Ausblick vor allem auf Forschung und Lehre, also den klassischen Aufgaben der First und Second Mission. Da die Third Mission im Hintergrund national orientiert ist (es soll ja die eigene Wirtschaft gefördert und die eigene Gesellschaft verändert werden), wird sie langfristig negative Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben.

 

Zweitens ist der Internationale Ausblick abhängig von der Reputation der Forschenden, von der Anziehungskraft der Universität für ausländische Studierende oder von potenziellen Kooperationen mit anderen Universitäten. Und hier kommt die generative KI ins Spiel.

Ohne wenigstens fakultätseinheitliche Regelungen für den Umgang mit KI wird die Hauptwährung in der Scientific Community, nämlich die Reputation, an Wert verlieren. Studierende aus dem Ausland werden sich genauer überlegen, ob eine Investition von Geld und Lebenszeit in ein Studium an rückständigen Universitäten sinnvoll ist.

Ebenso werden andere Universitäten kaum mehr daran denken, mit einer Universität zu kooperieren, die das innovativste kognitive Werkzeug der Gegenwart nicht regelkonform zu nutzen weiß.

 

15. August 2024

  

1 Diese vier Aufgaben stellen eine grobe Zusammenfassung vieler Facetten der Third Mission dar. Welche Möglichkeiten in welchen Institutionen gegeben sein können, zeigt ein 200-seitiges Werk: Hachmeister, C./Möllenkamp, M./Roessler, I./Scholz, C. (10.08.2024). Katalog von Facetten von und Indikatoren für Forschung und Third Mission an Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Third Mission CHE_AP_189_Katalog_Forschung_Third_Mission.pdf

2 Transferzentrum Universität Wien (08.80.2024). https://transfer.univie.ac.at

3 THE (08.08.2024). Times Higher Education https://www.timeshighereducation.com/world-university-rankings/university-vienna

4 Nikulaien, R./Tahvanainen, A. (2013). Commercialization of academic research. A comparison between researchers in the U.S. and Finland. Working Paper. ETLA Working Papers, No. 8, The Research Institute of the Finnish Economy (ETLA), Helsinki

4 Müller, S./Part, F./Pühringer, S./Völkl, Y. (26.04.2024). Warum eine Quote für Befristungen allein nicht reicht. Der Standard. https://www.derstandard.at/story/3000000217005/warum-eine-quote-fuer-befristungen-alleine-nicht-reicht

5 Postgraduate Center der Universität Wien (09.08.2024). https://www.postgraduatecenter.at/en/