KI und Selbständigkeit (1)
„ChatGPT ist ein klassisches Plagiatsverfahren“1. Autsch, diese Aussage von Konrad Paul Liessmann in einem Podiumsgespräch über die Bedeutung der KI schmerzt. Liessmann ist in Österreich und in der Schweiz bekannt als sprachgewaltiger Kommentator zu allen in der Öffentlichkeit im Augenblick diskutierten Themen. Falls der emeritierte Wiener Philosoph die Gedankenwelt der Uni Wien nach wie vor widerspiegelt, wird verständlich, warum das Phänomen auf universitärem Boden ignoriert wird.
Plagiatsverfahren zur Entlarvung von KI-Arbeiten einzusetzen, ist wirkungslos. Das gleicht dem Absperren des Wasserhahns in der Küche, während außerhalb des Hauses ein Hochwasser alles niederwalzt.
Plagiat
Um mit dem Begriff Plagiat zu beginnen: Ein oft zitierter deutschsprachiger Autor zur Definition von Plagiat ist Gerhard Fröhlich: „Unter Plagiate wird die unbefugte Übernahme fremden Geistesguts, der ‚Diebstahl‘ geistigen Eigentums verstanden.“ (2006, S. 81)2.
Dieser Plagiatsbegriff funktioniert nicht hinsichtlich der KI. Zwar haben viele genKI-Apps selbst viel gestohlen, dieses Diebesgut haben sie allerdings zerschnippselt und neu zusammengesetzt. Rechtlich entstehen komplexe Probleme: Wem gehört dieses Neue – den ursprünglich tausenden Autoren gemeinsam? Also hätte jeder Autor an jedem Wort einen ideellen Anteil? Gehört das Gestohlene und neu Zusammengesetzte den KI-Unternehmen? Den Anwendern aufgrund persönlich erstellter Prompt-Techniken? Der ganzen Menschheit?
Ghostwriter
Wie diese wenigen Sätze zur KI samt den folgenden Skizzen zum Rechtssystem zeigen, ist ein Chatbot kein klassisches Plagiatproduzent. Vielmehr gleicht er einem Ghostwriter. Ein ‚Geisterschreiber‘ ist jemand, der im Namen und im Auftrag einer anderen Person eine Arbeit schreibt. Umso besser er bezahlt wird, desto mehr Zeit wird er aufwenden und desto verlässlicher sind dann die Ergebnisse.
Genauso behandelt man auch einen Chatbot: Je mehr Rechenzeit, desto besser der Output. Aber ein Geisterschreiber aus Fleisch und Blut war bisher durch Plagiatssoftware nicht zu erkennen. Alles ist gleichgeblieben, nur der Geist tut, was Geister so tun: Er hat sich eine andere Gestalt gegeben, eine elektronische.
Rechtssystem
Es ist offensichtlich, dass das bisherige Plagiatsverfahren, ob eine schriftliche Arbeit auf Eigenleistungen des Autors beruht, nicht geeignet ist, KI zu erkennen. Selbst spezialisierte KI-Erkennungsprogramme können bloß Wahrscheinlichkeiten angeben. Die innovative Technik unterläuft sogar das geltende Rechtssystem. Begriffe wie Eigentum, Urheber, Diebstahl, Betrug etc. greifen ins Leere. Es erhebt sich nun die Frage: Gibt es ein Eigentumsrecht auf Fakes?
Das bisherige Urheberrecht beruht bei indirekten Zitaten auf Zusammenfassungen im Einzelfall (!) samt richtiger Angabe der Quelle. „Im grossen Stil aber fremde Inhalte zusammenzufassen und ein Geschäftsmodell zu entwerfen, das auf dem Zitieren von Quellen basiere – das gehe über die ursprüngliche Funktion des Rechts zum Zitieren hinaus.“ (Hunziker 21.10.2024)3. Fazit: Das Rechtssystem müsste grundlegend neu gestaltet werden.
Liessmann, der in der Vergangenheit nicht selten den Eindruck vermittelte, ein inoffizielles Sprachrohr für die philosophische und bildungswissenschaftliche Fakultät der Wiener Universität zu sein, gibt oft konstruktive und kritische Einsichten zu Bildung und Gesellschaft. Hier aber irrt er. Er setzt einen rational kühlen Schlusspunkt in diesem Podiumsgespräch, der auf eine verbreitete universitäre Mentalität des Weitermachens wie bisher schließen lässt: Ängste verspüre er nicht1. Conclusio: Sich mit schummelnden Studierenden auseinanderzusetzen, ist also öd.
22. Oktober 2024
PS: Wie mit KI ernsthaft umzugehen ist, wird in der nächsten und übernächsten Folge beschrieben.
PPS: Dieser Beitrag wurde mittels ChatGPT4o auf Argumentationsstruktur überprüft.
1 DiePresse (Im Gespräch, 19.10.2024). Wer wem gehorcht. https://www.diepresse.com/18981811/wer-wem-gehorcht.
2 Fröhlich, G. (2006). Plagiate und unethische Autorenschaften. Information Wissenschaft & Praxis 57, 81-89.
3 Hunziker, M. (21.10.2024). Das Wettrennen um die intelligente Internetsuche läuft. Der CEO des amerikanischen KI-Unternehmens You.com erklärt, was die Konkurrenz falsch macht. Neue Zürcher Zeitung 21. Oktober 2024.