Den Kopf in den Sand stecken
Erstaunlich, was Übersichtsarbeiten aufzeigen: Fachjournale für höhere Bildung interessieren sich nicht für technologiegestütztes Lernen. So das Fazit eines Reviews, das Ende August 2024 publiziert wurde1.
Situation
Nur wenige Veröffentlichungen zu genKI und Lernen sind in Fachjournalen für höhere Bildung zu finden. Sind doch effektives und effizientes Lernen und die Verwendung entsprechender Methoden hierzu zentrale Themen dieser Journale. Gegenwärtig wird nur selten untersucht, wie genKI und Lerntheorien zueinander passen. Ausreichend erforschte Lerntheorien wie Experimentelles Lernen, Aktives Lernen, Selbstreguliertes Lernen oder Reflexives Lernen wären eine ideale Perspektive, Auswirkungen der genKI (in Form der Chatbots) zu untersuchen.
Anders sieht die Situation bei Technologiejournalen aus. Hier sind zahlreiche Studien über Chatbots zu finden. Allerdings sind diese – schon rein vom Ansatz her – pragmatisch und technologisch orientiert. Ein Einordnen der Chatbot-Wirkungen auf sozialpsychologische und soziale Vorgänge ist hier nicht zu erwarten.
Die genKI wird nicht die Praxis an den Hochschulen in Zukunft verändern, nein, sie tut es bereits jetzt. Sie verändert die Bildungspraxis grundlegend, wie es einst die Industrialisierung für die Wirtschaft tat. Doch die erste Garnitur, der forschende und lehrende universitäre Oberbau, scheint die genKI zu ignorieren.
Mögliche Gründe
Was könnten Gründe sein? Mangelnde Intelligenz der Hochschulverantwortlichen der Großuniversitäten kaum. Eher, dass der etablierte Habitus der Professoren undWissensträger:innen eine kritische Auseinandersetzung mit neuen Technologien verhindert. Denn traditionelle akademische Strukturen sind festgefahren.
Roboter, mit denen man chatten kann, also Chatbots, sind die neue Bedrohung für die Wissensträger:innen. Chatbots bieten einen innovativen und gleichzeitig herkömmlichen Zugang zum Wissen: Chatbots reagieren AUF die natürliche Sprache und generieren einen Output IN der natürlichen Sprache. Lehrende werden nicht benötigt. Womit die genKI das soziale Gesamtgefüge des Wissens- und Lehrangebots ins Rutschen bringt.
Der Elitenstatus wird durch Chatbots infrage gestellt, doch viele akademische Institutionen ignorieren diese Herausforderung. Besonders, wenn ein exkludierender Habitus gepflegt wird, wie es in den Naturwissenschaften im deutschsprachigen Raum oft der Fall ist2. Und Forschende bzw. Lehrende anderer Disziplinen diesen Habitus aufgrund des höheren Prestiges nachahmen.
Die gegenwärtige Geringschätzung der Lehre ist der tiefe Grund für das Übersehen der studentischen Bedürfnisse2. Und wenn ein knapp bemessenes Budget noch in die Aktivitäten der Third Mission fließt, verschlechtert das die Situation. So trifft die Geringschätzung der Lehre auf wenig betreute Studierende. Diese wiederum stürzen sich in verständlicher Gegenreaktion unvorbereitet und ungehemmt auf die Chatbots. Denn Chatbots bieten den Studierenden persönlich adressierte Antworten.
Diese Ignoranz der Hochschulen wird sowohl für die Hochschulen selbst als auch für die Studierenden langfristig ernüchternd sein.
9. Oktober 2024
Symbol für gefährdete Schönheit: Schloss Orth am Traunsee mit Traunstein und
'Schlafender Griechin' im Hintergrund
1 MacGrath, C./Farazouli, A./Cerratto-Pargman, T. (2024). Generative AI chatbots in higher education: a review of an emerging research area. Higher Education, Springer. Published online: 24. August 2024. https://doi.org/10.1007/s10734-024-01288-w
2 Steinhardt, I. (2024). Lehrpraktiken, Sozialisation und Selektion im Sozialraum Hochschule. In Vöing, N./Jenert, T./Neiske, I. et al. (2024). Hochschullehre postdigital. Lehren und Lernen neu gestalten. S. 27-53 bit.ly/3ZRYEwW