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GPT4: Auf den theoretisch-paradigmatischen Zahn gefühlt

 

 

 

 

 

 

Schon im vorherigen Beitrag hatte ich ein Thema abgefragt, das innere Widerhaken hat:

Public Health – Prävention durch individuelle Präzisionsmedizin.

Diesmal wollte ich es genau wissen, ich bin nämlich der Meinung, dass die Verbindung der zwei angeführten "Sub-"Themen im gemeinsamen Kontext miteinander nicht vereinbar sind. Keinesfalls baut eines auf dem anderen auf. Auch ergänzen sie einander nicht. Wird ein Ansatz forciert, kommt der andere unter die Räder

Auch klar ist, dass beide Ansätze in der gesellschaftlichen Realität schon nebeneinander vorkommen, wenn auch die Präzisionsmedizin noch als kleine Schwester fungiert. In der Folge steht das vollständige Prompt mit GPT4 in der Rolle als Gutachter:

(Prompt): Du hast die Rolle eines wissenschaftlichen Gutachters. Der Kontext ist wiederum mein Studium in Gesundheitswissenschaften, im Speziellen das Thema "Public Health – Prävention durch individuelle Präzisionsmedizin".

In diesem Thema sind zwei Subthemen "Public Health" und "Prävention durch individuelle Präzisionsmedizin"  miteinander verknüpft. Sind diese zwei Subthemen von ihren Paradigmen her miteinander kompatibel? Antworte mit Ja oder Nein und gib Begründungen dafür an. 

Zum inhaltlichen Verdeutlichung dieses Prompts: Ich stelle hierin vier theoretisch-paradigmatisch relevante Vorgaben auf: 1. GPT4 soll in der Rolle eines wissenschaftlichen Gutachters, also kritisch sein. 2. Es geht um Gesundheits-Wissenschaften. 3. Es geht um „individuelle“ Präzisionsmedizin (mit einer Hinweisverdoppelung durch „individuell“, obwohl das Individuelle bereits im Begriff Präzisionsmedizin impliziert ist) und das alles entscheidende Umfassende: 4. Ist das Gesamtthema von ihren Paradigmen her kompatibel?.

Urteil von GPT4: Ja, die beiden Subthemen „Public Health“ und „Prävention durch individuelle Präzisionsmedizin“ sind von ihren Paradigmen her miteinander kompatibel und können sich sogar ergänzen.

Ich erspare den geneigten Blog-Lesern die Details der ausführlichen Begründungen. GPT4 schreibt von einer Erweiterung des Public Health-Ansatzes, die zu einer größeren Effektivität der öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen führe.

Es werden zielgerichtete Präventionsstrategien angeführt, die auf spezifische Risikogruppen zugeschnitten sind, was zu geringeren Kosten führen soll. Ebenso sollen Integrations- und Synergie-Effekte durch Nutzung von anfallenden Daten entstehen. Und – kaum zu glauben: Diese thematische Verbindung sei ethisch und sozial kompatibel.

Die Begründungen lesen sich abgeklärt und flüssig, wie frisch aus dem Lehrbuch für Gesundheitswissenschften eines Bachelorstudiums abgeschrieben. Sie wirken überzeugend.
Auf den ersten Blick.

Der zweite Blick zeigt, dass die Begründungen nicht stichhältig sind. Die Paradigmen, die Ansätze und entsprechenden Definitionen, Vorgehensweisen und Folgerungen sind nicht nur grundverschieden, sondern einander entgegengesetzt.

Hierbei geht es keinesfalls um begriffliche Spitzfindigkeiten. Wissenschaftliche Aussagenverlieren ihre Geltung, wenn sie in andere Rahmenbedingungen und in andere Fachgebiete unverändert übertragen werden.

Die chaotischen Diskurse während der Corona-Pandemie samt den langfristigen politischen und sozialpsychologischen Folgen im deutschsprachigen Raum zeigen dies deutlich. So hatten Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner und Wissenschaftsleugner viel Auftrieb erhalten. 

Beginnen wir mit den Definitionen. Eine verbreitete Definition von Public Health lautet: „Unter Public Health verstehen wir eine von der Gesellschaft organisierte, gemeinsame Anstrengung, mit Ziel der Erhaltung und Förderung der Gesundheit der gesamten Bevölkerung oder Teilen der Bevölkerung, […]“1.

Dieser soziale und gesellschaftlich breite Top down-Ansatz kommt im deutschen Begriff „öffentliche Gesundheitspflege“ für Public Health noch deutlicher zum Ausdruck.

Dagegen wird Präzisionsmedizin definiert als „[…] an innovative approach that uses information about an individual’s genomic, environmental and lifestyle information to guide decisions related to their medical management. The goal of precision medicine is to provide more a precise approach for the prevention, diagnosis and treatment of disease.“2 

Kurz, es geht um das spezifische medizinische Management von Individuen.

 

Dazu der zusammenfassende letzte Satz von GPT4: Insgesamt sind die Paradigmen von Public Health und der Prävention durch individuelle Präzisionsmedizin kompatibel und können durch ihre Kombination zu einer umfassenderen und effektiveren Gesundheitsversorgung und -prävention führen. 

Nicht doch, eine Gegenüberstellung von Ansätzen, entsprechenden Handlungen und Folgerungen zeigt das gegenteilige Bild: 

  1. Public Health nützt gemäß ihrem seit rund 150 Jahren entwickelten Konzept universelle Ansätze wie Aufklärung und Impfungen. Public Health beruht auf kostengünstigen Angeboten oder sanften Interventionen, die auf große Segmente der Bevölkerung, wie Kinder, Schwangere oder Alte, gerichtet sind.

  2. Präzisionsmedizin hingegen fokussiert mittels spezifischer Methoden auf eine individuelle Person. Präzisionsmedizin baut auf einzigartigen biologischen Faktoren wie Genen, Molekülexpression oder Mikrobiom auf. Sie ist daher höchst ressourcenintensiv und teuer.

  

  1. Public Health beruht auf knappen Budgets öffentlicher Institutionen, die auf traditionelle Techniken und Anwendungen ausgerichtet sind.

  2. Präzisionsmedizin erfordert neueste Technologien und spezifische Fachkenntnisse, was die Kosten für das Gesundheitssystem erhöht und potenziell Ressourcen von breit angelegten Public Health-Programmen abzieht.

 

  1. Public Health nutzt allgemeine Daten der Population, die öffentlich zugänglich sind.

  2. Präzisionsmedizin nutzt private biologische Daten, die vertraulich und streng zu schützen sind: „[it] takes advantage of large data sets of individuals such as their genome or their entire electronic health record to tailor their healthcare to their unique attributes“3.

 

  1. Die Prinzipien von Public Health sind auf Gleichheit ausgerichtet. In vielen Ländern wird die Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung größer. 

  2. Gleichheit ist kein relevantes Prinzip der Präzisionsmedizin. Im Gegenteil, der in der Welt nur einmal vorkommende Mensch ist als In-dividuum (wörtlich 'un-teilbar': ein Teilen/Sharing ins genetische bzw. molekulare Unten oder ins soziale Oben ist nicht enthalten) anzusehen: „It is common sense that no two individuals are the same, and so they should not get the same healthcare. Precision healthcare embodies that simple idea.“3  

 

--> All dies wird unweigerlich zu anhaltenden monetären, gesellschaftlichen und politischen Konflikten zwischen beiden Ansätzen führen. 

Schon im Jahr 2012, kurz nach dem Prägen des Konzeptes von Präzisionsmedizin, wusste man, dass es eine Langzeitperspektive benötigt. Die Einschätzung bestand darin, dass es sogar Generationen dauern würde, um ein weniger anspruchsvolles Ziel als das von Public Health zu erreichen: Nämlich aus den Erkenntnissen der Präzisionsmedizin Informationen für die medizinische Behandlung von Subgruppen der Population zu erhalten.

Das finale Ziel: Eine Synthese im Rahmen einer Verbindung von gesellschaftlich breit aufgestellter Public Health und individuell fundierter Präzisionsmedizin zu erreichen. 

Hierfür wird noch viel Wasser die Donau hinabfließen, damit beide Ansätze nach vielen theoretischen und praktischen Überlegungen, Erfahrungen und notwendigen paradigmatischen (!) Anpassungen einander näher kommen.

 

Fazit: Übergreifendes Rahmendenken kann GPT4 derzeit noch nicht. Deduktive Schlussfolgerungen aus gegebenen Prämissen => Fehlanzeige. Ergo, GPT4 hat den paradigmatischen Test nicht bestanden. 

27. April 2024

 

1 Egger, M./Razum, O./Rieder, A. (Hrsg.) (2018). Public Health kompakt. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Berlin: Walter de Gruyter. S. 1 

2 National Human Genome Research Institute (NIH) (25. April 2024). Precision Medicine. Definition. https://www.genome.gov/genetics-glossary/Precision-Medicine.

3 Biesecker, L. (26. April 2024). Narration. NIH, https://www.genome.gov/genetics-glossary/Precision-Medicine.

4 Smith, R. (2012). Stratified, personalised, or precision medicine. BMJ, 39, 143-158. Die Organisation bmj.com publiziert das British Medical Journal.

Die argumentative Hintergrundkonstruktion von GPT4 ist schief und voller inadäquater Spiegelungen