Wittgenstein greift in den Himmel, um einen Stern vom philosophischen Himmel zu holen. Er konstruiert im Traktat ein – seiner Meinung nach strukturell vorhandenes - Grundgerüst gesprochener und geschriebener Philosophie. Logik, das Zauberwort der Mathematiker und Wissenschaftler vor 100 Jahren, soll diesen Bauplan charakterisieren.
Welch ein Vorhaben, denn die Basis aller philosophischen Probleme soll nun gelöst sein! Man benötige nur mehr Algorithmen, um konkrete Lösungsansätze für konkrete Problemformulierungen zu erzeugen.
So schreibt er 1918 im Vorwort: „[..] scheint mir die W a h r h e i t [im Original gesperrt gedruckt] der hier mitgeteilten Gedanken unantastbar und definitiv.“ Immerhin, das Vorsichts-Wort scheint hat er eingefügt.
Was sollen wir davon halten? Schau‘n wir uns das eine oder andere seiner sieben Grund-Axiome an, auf welchen er sein philosophisches Axiomen-System samt untergeordneten Anordnungs- und Vollständigkeitsaxiomen errichtet hat. Doch vorab einige Überlegungen zu Axiomen:
Ein Axiom ist eine Aussage, die keiner weiteren Begründung bedarf. Es wird als wahr angenommen und beweislos vorausgesetzt. Darauf gründen Formalwissenschaftler wie Mathematiker ihre Sätze (Theoreme). Fällt ein Axiom, ist das darauf Gebaute zunichte.
Klassischerweise gibt es daher Bedingungen: ein Axiom soll unmittelbar einleuchten, nachvollziehbar, korrekt etc. sein. Formalistische Axiomensysteme (also rein mit Symbolen arbeitende Systeme) hingegen haben als Kriterien nur mehr Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit. Ob sie in der Realität zu irgendwas nütze sind, weiß man vorher nicht, interessiert auch nicht. Sie stehen für sich im Raum.
Wittgenstein errichtet im Traktat solch ein formalistisches Axiomensystem, hat jedoch ein konkretes Ziel vor Augen: es soll für philosophische Probleme nützlich zu sein. Eine forschungspsychologisch heikle Vorgangsweise, nur allzu schnell sieht man alles von diesem Ziel her und neigt dazu, das Formale (die Symbole) dem anzupassen.
Genug der Theorie, lassen wir den jungen Wittgenstein sprechen.
[Axiom] 1 Die Welt ist alles, was der Fall ist.
Dieses Axiom eins ist einfach genial. Dazu kann jeder nur nicken. Das Gefühl, bereits einen Blick hinter die Welt getan zu haben und damit das Grundgefüge in ersten Umrissen zu erahnen, ist da. Und viele werden neugierig, was nun folgt.
Reinhard Neumeier, September 2018