Aufschauen, Staunen, Entsetzen: Eine schwarze Wolkenfront schiebt sich vom Westen her über den Himmel. Sie verdunkelt den Horizont, verschluckt die Sonne. Staub beginnt zu rieseln, fein und dicht. Das Atmen fällt schwer. Vor 40.000 Jahren mussten Frühmenschen innerhalb weniger Minuten um ihr schieres Überleben kämpfen.
Menschen leben in dieser Zeit an der unteren Donau. Sie wissen im Moment des hereinbrechenden Unglücks nicht, dass vor zwölf Stunden ein Supervulkan ausgebrochen ist. Explodiert im heutigen Italien, am Fuß des Vesuvs. Es ist die größte Eruption der letzten 200.000 Jahre. Die ausgestoßenen Wolken schießen mehr als 40 km in die Atmosphäre. Schnelle Jetströme in der Stratosphäre transportieren nun eine tödliche Fracht: feine Teilchen aus zerbröselnder Lava und Schlacke. Bald wird der Vulkanausbruch das Klima der gesamten Erde verändern.
Katastrophal sind die Folgen im direkten Niederschlagsgebiet, das sich von Nordafrika über den Balkan bis in die Steppen Russlands erstreckt (1). Asche bedeckt in schnell anwachsenden Schichten den Boden. Das Wasser der Flüsse und Bäche wandelt sich in Schlammbrühen, Fische verenden, Schwefel verätzt die Erde, Büsche und Bäume sterben ab. Selten und sauer wird ab sofort der Regen sein; dunkel, kalt und trocken werden die Sommer.
Wir wissen heute, was Vulkanasche anrichtet: Die feinen Partikel erschweren das Atmen, führen zu Asthma oder Staublunge. Knochen werden in der Folge schwach und porös. Mit diesen Katastrophen waren unsere Vorfahren vor 40.000 Jahren konfrontiert.
Irgendwie haben sie die Folgen des Vulkanausbruchs überlebt. Mehr noch, am Ende dieser schrecklichen Zeit sind sie fitter geworden. Vor 50.000 Jahren werden in dieser Gegend entscheidende Weichen gestellt: Das Donaugebiet ist nun ein Schnittpunkt von Migrationsrouten; der moderne Mensch wandert in Europa ein, die Neandertaler beginnen weniger zu werden, der Denisova-Mensch verschwindet aus der Geschichte, gleichzeitig erreicht die Werkzeugherstellung neue Höhepunkte.
Ein wichtiger Faktor hierbei ist sicher ein früher Austausch von Genen, ein Austausch, der vor diesen Katastrophen geschehen sein muss. Nachkommen aus geglückten Mischungen erben einen Vorrat an Supergenen. Ihr Genom 'weiß', wie mit schlechten Lebensbedingungen umzugehen ist.
FRAGEN und ANTWORTEN
a) Welche Superman-Fähigkeiten muss ein Mensch haben, um solche Katastrophen zu überleben? Ein genetisches Erbe, das starke Knochen hervorbringen kann, das trotz heller Haut erhöhte UV-Verträglichkeit ermöglicht, das mehr Energie in den Zellen erzeugt. All Eigenschaften, wie sie der Homo neandertalensis und wahrscheinlich auch der Denosova-Mensch hatte
b) Wie kommen Arten zu solch einem Mix an Eigenschaften? Durch Kreuzung, jedem Züchter geläufig
c) Wie kommt es zu dieser Kreuzung? Indem sehr unterschiedliche Individuen Sex miteinander haben und Kinder zeugen
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Eine aktuelle Studie (2) zeigt, wie dieser Weg zu uns führte: DNA-Untersuchungen eines 50.000 Jahre alten Fußknöchels belegen, dass in dieser DNA vier Unterarten codiert sind: Homo sapiens, Homo neandertalensis, Homo denisova und eine vierte noch unbekannte Art (vermutlich ein Homo erectus).
Diese vier Unterarten hatten sich einige hunderttausend Jahre zuvor getrennt. Und jetzt durch Sex wieder gemischt, wenn auch nur zu geringen Teilen. So erhielten Frühmenschen Schätze an nützlichen Eigenschaften, ohne es zu wollen, ohne es zu wissen, rein von der Lust getrieben. Und kein Moralapostel verurteilte das sündige Treiben und drohte mit Strafen. Seien wir doch froh über dieses Treiben, vielleicht gibt es uns moderne Menschen nur deshalb!
Wir tun uns schwer, die Welt unserer frühen Vorfahren zu verstehen. Rechnungen zufolge trafen unsere Ahnen in ihrem Leben auf vielleicht 20 mögliche geschlechtsreife Menschen. In jeder vollen Straßenbahn sehen wir mehr potenzielle Partner als unsere Urururahnen in ihrem ganzen Leben. Abwarten und Verzichten ist daher keine gute Strategie, Frühmenschen durften bei der Partnerwahl nicht zimperlich sein.
Unbändiges sexuelles Geschehen verlief auch anders. Die Ergebnisse der bereits zitierten DNA-Analyse belegen: Auch nahe Verwandte hatten es miteinander getan. Die Eltern des untersuchten Skelettfragmentes waren entweder Onkel und Nichte gewesen oder Tante und Neffe oder Großvater und Enkelin.
Woher sollten sie auch wissen, wer Vater, wer Onkel, wer Tante oder Neffe war? Sie besaßen weder Geburtsurkunden noch Trauscheine. Besser mit dem Nächstbesten fortpflanzen als gar nicht. Vom angeblichen Inzesttabu in der Urhorde, das Sigmund Freud als große Erkenntnis verkündete, hatten unsere Vorfahren nichts gehört. Also brauchten sie sich auch nicht daran zu halten ...
Wir Heutige rümpfen die Nase (und dies teilweise zu Recht) - Inzucht vermindert die langfristigen Chancen der Folgegenerationen. Sie, die Früheren, hatten jedoch kaum Alternativen, sie lebten, kämpften und paarten sich. So führt ein bedingungsloses Streben nach Leben zum Ausschöpfen aller Möglichkeiten.
Ein Catch As Catch Can führt auch zu Sex As Sex Can.
Reinhard Neumeier, Dezember 2013
(1) Kathryn E. Fitzsimmons, Ulrich Hambach, Daniel Veres, Radu Iovita (2013). The Campanian Ignimbrite Eruption: New Data on Volcanic Ash Dispersal and Its Potential Impact on Human Evolution, (26. 12. 2013)
(2) Prüfer K., Racimo F., Patterson N., und viele andere (2013). The complete genome sequence of a Neanderthal from the Altai Mountains (veröffentlicht 18. 12. 2013)