Klug und gerissen agieren Erlösungsreligionen – sie wissen, wie man Menschen in Käfige steckt. Alte werden durch verbalen Trost im Leid hinter Gitttern gehalten. Kinder formt man durch Erziehung. An erwachsene Männern und Frauen wird direkt Hand gelegt, in jedem Moment, an jedem Tag. Hand wird gelegt an jenem Lebenstrieb, der Menschen am heftigsten umtreibt: an Sexualität.

 

Sex? Himmel hilf! Mit der Lupe kann man sie suchen, jene wenigen mystischen Bewegungen wie den Tantrismus, der Sex für zusätzliche Lebensfreude nutzt. Kontrolle und Unterdrückung kennzeichnet jene Erlösungsreligionen, die in den letzten beiden Jahrtausenden viele andere verdrängt haben. Christentum, Judentum, Islam oder Buddhismus handeln instinktiv: zuerst Menschen klein machen, dann ihnen die Hand für eine - ferne - Erlösung reichen.

 

  

Missionare und Pastoren, Gurus und Imame begrenzen den stärksten Trieb, in allen Umständen, mit allen Mitteln. Milliarden Menschen werden unter das Joch streng geregelter Sexualnormen gezwungen. Ein Mann darf es nur mit einer Frau tun und sie muss ihm zu Diensten sein. Alles ein Leben lang, vorehelicher oder außerehelicher Sex – verboten und geahndet.

Vitale, frei geborenen Lebewesen mutieren zu lammfrommen Haustieren. Religiöse brennen IHR Brandzeichen auf IHRE Schafe: Sie drohen mit Ausschluss aus der Gemeinschaft, mit Bann, Strafe und rechtlichen Folgen. Sie schneiden und nähen.

Sowohl in den USA als auch in jüdischen und muslimischen Ländern werden männlichen Säuglingen jene Teile weggeschnitten, die am intensivsten den Körper der Frau erfahren könnten. Könnten, Konjunktiv! Denn ab sofort werden die Beschnittenen sexuelle Freuden nur mehr abgeschwächt erfahren. Rund 20.000 Sensoren und Rezeptoren sind mit der Vorhaut entfernt worden.

 

Religiös geprägte Hebammen machen kurzen Prozess in Schwarzafrika und nähen weibliche Genitale zu. Fanatisierte Männer und Frauen lynchen Homosexuelle oder steinigen Ehe-'Brecher' zu Tode. Harmlos, was die Vollstrecker religiöser Ideen in Westeuropa heutzutage nur mehr tun dürfen: Kinder leibfeindlich erziehen, masturbierende Knaben vor Rückenmarksschwund warnen und erwachsenen Wiederverheirateten ein zentrales magisches Opfer- und Vereinigungsritual verweigern.

Außenstehende würden annehmen, dass volljährige und mündige Erwachsene die männlichen Träger schwarzer oder weiß-goldener Frauenkleider einfach ignorieren. Ist aber nicht so.

Eben Vorsicht! Nichts übereilen durch vorschnelle Religionskritik. Das körperliche Verlangen nach dem anderen ist eine mächtige Kraft bei uns Menschen. Uneingeschränkt, dauerhaft, ein Leben lang. In uns brodelt und brennt viel, vielleicht zu viel. Eventuell haben Imame und Bischöfe, Mönche und Nonnen Recht. Eventuell zeigt ihr zweitausendjähriger Erfolg, dass es einfach ein Muss ist, uns Menschen sexuell zu fesseln. Denn wir sind über-sexualisierte Lebewesen. Vergleiche mit anderen Arten zeigen das.

 

Soziosexuell ineffizient nennt der Verhaltensbiologe und Wolfsforscher Kotrschal das menschliche Sexualverhalten (1). Wir Menschen bringen Unruhe in alle sozialen Organisationen. Egal, ob Familie, Sportverein oder Unternehmen. Unruhe resultiert aus dem Drang nach Sex. Weil dieser alle Fesseln zu sprengen droht.

Anders die verrufenen Wölfe. Zehn Monate im Jahr halten sie fest im Rudel zusammen, teilen die Beute und sind liebevoll zu den Welpen. Wölfe bieten das Muster einer ruhigen und friedlichen Kleingesellschaft. Welch ein Segen – falls man nicht gerade ein vorbeikommendes Reh ist!

 

Zwei Monate geht’s auch bei den Wölfen intensiver zu. Zwischen Februar und April ist Ranzzeit. Weibchen werden läufig, Wolfsrüden wachsen taubeneigroße Hoden, die Testosteron in Fülle produzieren. Die Tiere werden nervös, unruhig und aggressiv. Spannungen und Konflikte füllen die Luft. Zwei Monate des Winselns, Knurrens, Schnappens und manchmal Kämpfens. In diesen zwei Monaten ist der Wolf auch nur ein Mensch.

 

Reinhard Neumeier, Dezember 2013

 

(1) Kotrschal K. (2013): Wolf, Hund, Mensch: Die Geschichte einer jahrtausendalten Beziehung. Wien: Brandstätter. Ein empfehlenswertes Buch, das Licht auch auf menschliche Eigenheiten wirft.