Endlich vorbei und vergangen - die therapeutische Fixierung auf eine bestimmten Theorie. Vorbei der Glaubenskampf zwischen verschiedenen Modellen, die Zeit der Schulen in Psychotherapie und Psychologie, die einseitige Ausrichtung auf einen psychischen Ansatz. Vergangen sind Kriege zwischen Schulen, voll Glaubenseifer zum Schaden des Patienten geführt. Er/Sie - der Patient - rückt in den Vordergrund.
Nicht dass systemischer Ansatz oder Verhaltenstherapie falsch wären. Nun aber durchdringen sie einander und unterstützen beim Lösen der Patientenkrise. Ob medikamentenbasierte Therapie, Gesprächstherapie oder Grüntherapie (1) - alle haben im lösungsorientierten Klientenumgang jetzt den Charakter von Werkzeugen (2).
Alles bestens? Nicht ganz, der Abschluss fehlt, die krönende Kuppel eines Gesamtblickes. Psychologen und Psychiater konzentrieren sich auf die Lösung des spezifischen Problems, das Gesamte des Patientenlebens jedoch verlieren sie bisweilen. Er verschwindet aus dem professionell gezwungenermaßen eingeengten Tunnelblick.
Jedoch wird ein schräges Weltbild irgendwann neue Probleme erzeugen. Meint der Klient beispielsweise, die Welt müsse gerecht sein, wird er den nächsten Zufällen des Lebens zuerst grollend, später selbstzweifelnd begegnen. Jede 'Ungerechtigkeit' wird ihn mit dem Schicksal hadern lassen. In der Folge werden Unzufriedenheit, Missmut und Abwertung seine Lebenssteuerung erschweren.
Eine Philosophie ohne Fachsprache, ein Philosophieren, das Menschen über längere Zeit zum Nachdenken verführt, bietet hingegen Chancen auf ein Adaptieren der Weltanschauung. Eine adaptierte Weltanschauung, die bei Enttäuschungen resistenter macht, vor Sackgassen warnt oder Unabänderliches früher akzeptieren lässt.
Es ist paradox, aber am Ende einer modernen schulintegrierten und effizienten Therapie öffnet sich eine große Lücke. Nach der Arbeit von Psychotherapeuten setzt nicht selten der Mensch sein Leben fort als wäre nichts geschehen. Problem behoben, Reparatur geglückt, wie wunderbar! Und übersieht, dass ein verfehltes Weltbild nach wie vor sein Denken und Handeln beeinflusst. Die Lücke entsteht dann, wenn die persönliche Weltanschauung unbeachtet geblieben ist.
Zwei Umstände helfen, diese Lücke zu schließen:
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Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater, die genug von Philosophie verstehen, um eine Beschäftigung mit wesentlichen Lebensfragen anzuregen
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Lebenserfahrene Philosophen aus der Praxis, die psychologisches Geschick aufweisen
Der Patient/Klient begegnet im Idealfall beiden. Medizinische Professionisten und praktische Philosophen bieten zusammen jene Unterstützung, um nach Krisen gereifter zu leben. Wie fein wäre es, wenn Psychologen und Psychotherapeuten therapeutisch philosophierten. Wie fein wäre es, wenn der Patient praktischen Philosophen begegnete, die Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis besitzen. Beide unterstützen eine günstigere Lebenssteuerung, eine Weise, die langfristig trägt.
Reinhard Neumeier, Dezember 2013
(1) Wie etwa Arbeiten im Garten oder tägliches Bewegen im Grünen
(2) Margraf, J. (2013: Psychologie ist ein sehr erfolgreiches Fach!, Ein Interview. In: Psychologie Heute, Heft 12/2013, S. 74-81