20 Minuten, dann war es getan. Ein zweiter orange leuchtender Schmetterling flattert über die Wiese. Auch er ist nun besser vor Angriffen geschützt, denn Vögel, die ärgsten Feinde der Schmetterlinge, meiden hellorange. 20 Minuten, in denen ein grauer Falter mit einem orangen zusammengetroffen war.

Sie hatten sich verbunden, Gene waren vom orangen Falter zum grauen geflossen, dort eingebaut und aktiv geschaltet worden. Eine wirksame Verteidigung war in diesen 20 Minuten von einem auf den andere gelangt. Copy and paste in der Biologie: kopieren – wie einfach, wie effektiv!
 

Pflanzen, Pilze und Tiere können Gene nicht durch einfachen Hautkontakt weitergeben. Bakterien schon. Rasche Veränderung ist ihre erfolgreiche Methode zu überleben. Bakterien tauschen über feine Röhren Teile ihrer Erbinformation aus. Wir Menschen tu das auch und nennen es Sex.

 

 

Mikroben tauschen das Wertvollste, das sie besitzen: die Algorithmen und Pläne zum Was, Wie und Wann: Fressbares finden, sich vor Gift hüten und das Dasein besser gestalten. Bereits einfache Bakterien (Prokaryoten) speichern Information zum Aufbau und Verhalten. Nur liegt die Erbinformation als Proteinknäuel irgendwo im Inneren der Mikrobe. Die fortgeschrittenen Eukaryoten (Zellen mit Zellkern) gehen sorgsam mit der gespeicherten Information um. Sie hüten sie als Schatz, der gut verwahrt im Zellkern (quasi im Safe) liegt.

 

Sex (der Austausch dieses Schatzes) ist aufgrund seiner Verwahrug für Einzellern, den Eukarioten schwieriger. Vielzeller haben es noch schwerer, sie haben Millioe und Milliarden Zellen. Es ist praktisch unmöglich, das Genom für alle Zellen mit einem Schlag zu ändern, wenn auch die Epigenetik zeigt, dass relativ rasche Anpassungen in einem gewissen Umfang durch ein Ein- oder Ausschalten von Genen möglich sind. 

 

Im Leben von Vielzellern gibt es nur eine einzige Chance, an ein komplett neues Betriebssystem (ein neues Gennom) zu erhalten: im Moment des Entstehens, im Moment der Zeugung. Vielzeller schaffen hier den großen Sprung zu einem neuen Design.Dieser entscheidende Moment wird daher zum Ziel- und Sattelpunkt elementarer Verhaltensweisen der Vielzeller seit Anbeginnn.

 

Zielpunkt insofern, als passende Partner gesucht, ausgewählt und der Austausch real vollzogen wird. Auf diesen Punkt zielt jenes Verhalten, das wir Sex nennen. Sattelpunkt deshalb, weil sich ab dem vollzogenen Austausch (Sex) das Verhalten der Vielzeller radikal ändert. Jetzt geht es darum, die Entwicklung des neuen Vielzellers zu unterstützen.

 

Bleiben wir beim Zielpunkt, dem Sex. Das Design der Nachkommen kann besser oder schlechter zur Umwelt passen. Der sexuelle Austausch gleicht einer Lotterie. Niemand weiß vorab, was rauskommen wird. Kein Wunder, dass Vielzeller den Austausch von Erbinformation meist sehr sehr umsichtig angehen. Da gibt es Zurschaustellungen und Wettbewerb - eben das, was wir Balz heiße. Vom geglückten Sex profitieren die Nachkommen. 

 

Sex muss allen Beteiligten eine hohe Belohnung inn Form berauschender Glücksgefühle, denn Sex ist energieraubend und gefährlich. Wir alle wissen, wieviel Zeit und Aufwand nötig ist, einen passenden Partner zu finden. Universum-sei-Dank wissen wir nicht mehr, wie gefährlich Sex sein kann. Unzählige Menschen in grauen Vorzeit starben, weil sie im Liebestaumel von Löwen oder Leoparden erbeutet worden waren.

 

Das ist Sinn und Zweck: Die im Körper kreisenden Glückshormonen sind Vorauszahlungen für zukünftige noch funktionsfähigere Vielzeller. Diese Vorauszahlungen kommen aus der Zukunft. Sex ist die äußere Hülle einer Zeitmaschine. Sex ist Freude, welche die Ururenkel in ihre Vergangenheit und unsere Gegenwart schicken! Biologie hat Zeitreisen entwickelt, lange bevor Hollywood Science-Fiction-Filme produzierte. Die Zukunft lädt ein zum Pas de Deux, zum verschmelzenden Tanz zu zweit. Kein Wunder, dass Sex so aufregt. 

 

Reinhard Neumeier
überarbeitet im Juli 2019