Ich will l e b e n und unsterblich sein. Natürlich sagt der Verstand, du wirst sterben. Aber der eine verdrängt es, der andere ernährt sich vegan, der dritte glaubt an ein Jenseits samt Weiterleben. Der unbedingte Wille zum Weiterleben startet mit dem Beginn des Lebens. Hier ist nicht nur das eigene gemeint, sondern die allererste Bakterien, die ihren System aufrecht halten können. Sie zeigen als erste diese essentielle Eigenschaft eines Drangs zum Weiterbestehen.
Bakterien sind erstaunlich: sie leben lange. Sie altern nicht und sterben höchstens eines 'unnatürlichen' Todes. Ein vorhersehbarer Tod steht nicht auf ihrer Agenda.
In Vielzellern dagegen tickt die Lebensuhr von Anfang an. Vielzeller weisen geplante Entwicklungen auf: Aufbau - reife Zeit - Niedergang. Warum gibt es dieses vernichtende Aus für Vielzeller? Weil Adam und Eva trotz Verbotes Früchte von einem Baum gegessen hatten?? Ein Schwachsinn – geht es doch anderen Vielzellern wie Tieren, Pilzen und Pflanzen genau so. Die Lösung dieser Frage liegt woanders.
Zwischen Bakterien/Einzellern und Vielzellern bestehen große Asymmetrien. Die einen können theoretisch unbegrenzt leben, die anderen sterben nach kurzer Zeit. Eine weitere Asymmetrie zeigt eine Spur zur Lösung: Der Homo sapiens bevölkert nun als einzig lebende Menschenart die Erde.
Wo sind seine Vorgänger? Ein paar Prozent vom Neandertaler und dem Denisova-Menschen und anderen Hominiden finden wir in unserer DNA. Aber als Gesamtlebewesen sind sie von der Erde verschwunden. So ergeht es allen Vielzellern: die meisten Arten sind ausgestorben, viele verschwinden derzeit oder - sicher - in Zukunft. Ein Los, das auch uns Menschen treffen wird.
Unsere Gedankenreise hat ins zentrale Geschehen der Evolution geführt. Vereinfacht gesagt: Sich rasch anpassende Individuen oder mit anderen kooperierende Individuen überleben, weniger gut angepasste Individuen oder lose Gruppen verschwinden mit der Zeit. Ältere Arten werden mit der Zeit selten und vergehen ganz. Das Bessere ist der Feind des Guten.
Welche Vorteile hat der Tod? Was hat Vielzeller im Prozess der Verbesserung dazu gebracht, sterblich zu werden? Klingt paradox, aber das Sterben ist ein Vorteil! Der Brasilianer André Martins simulierte mittels Computer Konkurrenzsituationen. Er programmierte zwei virtuelle Arten. Die Lebewesen einer Art waren unsterblich, die der anderen sterblich.
Beide Arten hatten Nachkommen. Zur Simulierung der Evolution wurden Konkurrenzsituationen definiert: Individuen mussten sich in Zweikämpfen gegen andere Individuen durchsetzen. Außerdem traten Mutationen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf.
Das erstaunliche Ergebnis: Nach anfänglichen Vorteilen für die langlebige Art holen die Kurzleben auf und verdrängen die anderen. In der Mehrzahl der Simulationsdurchläufe behalten die Sterblichen die Oberhand! Die Erklärung für die Geschehnisse in diesen, natürlich extrem vereinfachten Simulationen von Evolution lautet: Durch den programmierten Tod der Älteren und dem Ersetzen durch Jüngere (die statistisch eine etwas bessere Fitness aufweisen) werden die Individuen der kurzlebigen Art fitter.
Je größer die Mutationsrate und je größer der Selektionsdruck ist, umso leichter haben es die Kurzlebigen. Der programmierte Tod bringt äußerst lebenstüchtige Wesen hervor. Die Sterblichen besiegen die Unsterblichen. Die Irdischen besiegen die Götter!
Reinhard Neumeier, November 2013