Nothing in Biology Makes Sense
Except in the Light of Evolution

Theodosius Dobzhansky, 1973

Der Evolutionsbiologen Dobzhansky schrieb in einem Essay für Biologielehrer einen Satz, der kracht wie ein Donnerschlag: Nichts in der Biologie macht Sinn, außer im Licht der Evolution.

Doch warum soll der Sinn eingeschränkt sein auf den Unterricht, auf Wissenschaft, eingeschränkt darauf, was Menschen in weißen Arbeitskitteln tun? Natürlich ist alles Lebendige betroffen, auch unser aller Leben. Wir tanzen an den Fäden der Evolution, gelenkt von erworbenen Verhaltensweisen und Hintergrundmustern der vergangenen hunderten Millionen Jahre: Wie wir die Welt sehen und empfinden, wie wir konkurrieren oder welche Partner wir wählen. 

Und haben Freiheiten. Wenn, ja wenn wir uns dieser Hintergrundmuster bewusst sind. Sonst gleichen wir blinden Passagieren, die im Dunkel stolpern und nicht wissen, wohin die Reise geht. Sonst sind wir Marionetten, ausgeliefert jeder noch so kindlichen Idee.

 

 

Kaum etwas zeigt deutlicher die Weltauffassungen als die Art, Leben einzuteilen. Die westlich-europäische Kultur ruht auf drei Wurzeln: der jüdisch-christlichen, der griechischen; und beide greifen zurück auf die ägyptische. In der jüdisch-christlichen Wurzel liest sich die Einteilung so: „Und Gott sprach: die Erde lasse junges Grün sprossen“ und „es wimmle das Wasser von lebendigen Wesen und Vögel sollen fliegen“ und „lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich“ . Die Bibel teilt Leben in aufsteigender Reihenfolge und Wichtigkeit ein: Pflanzen, Tiere und Menschen1).

 

Aristoteles, der erste Systematiker der Biologie, sprach ebenfalls von einer ansteigenden Leiter: leblose Natur – Pflanzen – Tiere – Menschen. Die Wurzeln unserer Kultur ordnen die Welt hierarchisch, mit dem Menschen oder etwas Göttlichem an der Spitze (= dem vielleicht wesentlichsten ägyptischen Kulturelement). Der Mensch als das krönende Spitzenprodukt. Wie schmeichelt uns das! Wie verzerrt es den Blick auf das Ganze.

 

Systematik in der Biologie

 

Die moderne Biologie startete ihre Klassifikation auf Basis der eben beschriebenen Stufenleiter der Natur. Mitte des 19. Jahrhunderts verkleinerte diese Naturwissenschaft die Zahl der Reiche auf zwei. Menschen wurden aufgrund Darwins Evolutionskonzepten den Tieren zugeschlagen - die meisten Menschen tun sich mit dieser Zuordnung noch heute schwer.

Als Biologen mittels leistungsfähiger Mikroskope kleine, einzellige Lebewesen näher erforschten, vergrößerten sie die Zahl der Reiche wieder auf drei: Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen.

Die nächste Neuerung kam, als Biologen feststellten, dass Pilze (unsere Wald- und Wiesenpilze) sowohl pflanzliche als auch tierische Eigenschaften aufweisen. Die Anzahl der Reiche stieg auf vier: Tiere, Pilze, Pflanzen, Mikroorganismen.

 

Mitte des 20. Jahrhunderts führten Zellanalysen von Bio-Molekülen wie den Nukleinsäuren zu Änderungen. Der fundamentale Unterschied zwischen Zellen ohne Zellkern und Zellen mit Zellkern fand seinen Niederschlag in der Klassifikation. Ein riesiger Abgrund trennt einfache Lebewesen der Mikrowelt, die Prokaryoten, von den komplexen Eukaryoten.

Interessanterweise richtet sich nun die gegenwärtige Einteilung nach denselben zwei Achsen aus wie in der Genesis: historische Entwicklung und struktureller Aufbau. Nur wird diesmal das Leben überwiegend gestaltet von Einzellern und nicht von Mehrzellern!

 

Prokaryoten = Zellen ohne Zellkern, Eukaryoten = Zellen mit Zellkern, Animalia = Tiere, Fungi = Pilze, Plantae = Pflanzen, Chromista = Algen u. andere, Protozoa = bewegliche Einzeller mit Zellkern

 

Der britischer Evolutionsbiologe Cavalier-Smith erstellte 1998 die oben dargestellte und im deutschen Sprachraum akzeptierte Einteilung2). Sie zeigt Einfaches und Überraschendes: Es gibt zwei höchste Kategorien, die Domänen. Domäne ist übersetzbar als „Herrschaftsgebiet“. Die beiden Herrschaftsgebiete sind Prokaryoten (Bakterien) und Eukaryoten (Zellen mit Zellkern). Sie sind weiters die Basis für davon abgeleitete Lebensformen.

 


Zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen zu unterscheiden mag im Alltag praktisch sein. Begegnen Sie jedoch Personen, die Tiere, Menschen und Pflanzen als völlig Verschiedenes ansehen, dann seien Sie auf der Hut. Sie werden mit einer verzerrten Auffassung vom Leben konfrontiert, die zu falschen Schlüssen und wahrscheinlich lebenswidrigen Geboten führt.

Seien Sie vorsichtig gegenüber überholten Weltanschauungen. Eine auf dem naturwissenschaftlichen Stand basierende Lebensphilosophie ermöglicht, ausgeglichener und gelassener zu leben. Dadurch werden Fallen vermieden. Alle Sackgassen lassen sich ohnehin nicht umgehen, das Leben bleibt irrend genug.

  

Ich verstehe, wenn in den heutigen info-überfluteten Zeiten der Inhalt der obigen Informationsbox nur überflogen wurde. Auch in der Biologie gilt Taxanomie (das Schema der Klassifikationen) als langweilig.

Zu Unrecht, denn aus philosophischer Sicht spiegelt jedes Klassifikationsschema das jeweilige Wissen über die Welt. Es zeigt das Verstehen des Lebens. Und damit auch, wie wir Menschen uns selbst verstehen.

 

Die Entwicklung des Lebens kann mit einem Wasserfall verglichen werden, dessen Wasser in Kaskaden schäumend das neue Flussbett sucht. Es gibt zwei große und eine mittlere Stufe:

  • Die erste Stufe steht für die Entstehung des Lebens überhaupt. Sie entspricht der Domäne der Prokaryoten (Bakterien).

  • Die zweite Stufe steht für die Domäne der Eukaryoten, für symbiotisch verschmolzene Mikroorganismen (ehemals Bakterien).

  • Die dritte Stufe steht im Wesentlichen für verschiedene Formen des Zusammenlebens von Eukaryoten.

 

Da wir selbst eine hoch aggregierte Form dieser dritten Stufe sind, sehen wir die beiden ersten Hauptstufen nicht. Die aufsteigende Gischt verbirgt die beiden eigentlichen Herrschaftsbereiche der Einzeller. Weil Menschen sie nicht sehen, meinen sie, die Mikroorganismen nicht beachten zu müssen. Aber wir spüren ihren Einfluss auf uns, sei es Immunsystem, Verdauung, Sexualität, infektiöse Krankheiten, Krebs und Tod. Das ist doch was!

 

Reinhard Neumeier, Oktober 2013

 

 

1) Genesis 1,9; 1,20; 1,26
2) Cavalier-Smith, Th., 1998

 


Kurz nach der Veröffentlichung der obigen Folge erhielt ich folgende Nachricht, die sowohl zusammenfasst als auch Schlüsse zieht: 


Lieber Reinhard, du schreibst von der biologischen Einteilung des Lebens und von der Bewusstmachung dieser evolutionären Entwicklung. Ohne dieses Wissen "gleichen wir blinden Passagieren, die im Dunkel stolpern und nicht wissen, wohin die Reise geht. Sonst sind wir Marionetten, ausgeliefert jeder noch so kindlichen Idee." So kann jeder Guru seine Schäfchen manipulieren.

 

Wir Menschen sind nicht die "Krone der Schöpfung", wie das aus den jüdisch-christlichen, griechischen, ägyptischen Lehren hervorgeht, sondern ein Teil dieser evolutionären Entwicklung. IN den drei Stufen dieser Entwicklung von den Prokaryoten über die Eukaryoten bis zum Zusammenleben dieser Eukaryoten-Gruppen(= Menschen) befinden sich die gleichen Mikroorganismen. Und wir sehen oder besser: wollen sie nicht sehen, aber sie üben einen großen Einfluss auf viele Lebensbereiche aus.

 

Ich fasse das so auf, dass wir Menschen nichts anderes sind, als eine Weiterentwicklung dieser Mikroorganismen und daher (!) weder eine "unsterbliche Seele", noch einen Schöpfergott haben oder brauchen. Das sollte uns etwas "demütiger" den anderen Lebewesen gegenüber machen und auch frei für all den Humbug der erzählt wird, "woher wir kommen und wohin wir gehen". Nach dem Motto : "Wissen macht frei!" und unabhängig!!

S. Z., 7. Oktober 2013