In kleinen Gruppen lebten unsere Vorfahren über hunderttausende Generationen. Mit zwei, drei Handvoll Menschen in unserer nahen Umgebung können wir daher blendend umgehen. Jedoch mit siebeneinhalb Milliarden Menschen heute? Wie funktioniert menschliches Leben in unübersehbaren Riesengruppen und globalen Großgesellschaften? Welche Methoden werden eingesetzt, welche misslingen, welche gelingen?
Viele Methoden haben wir in der Vergangenheit probiert: Gottähnliche Pharaonen, Religionsführer, feudale Gutsherren, bigotte Patriarchen oder stiefeltrampelnde Diktatoren knechteten die Gefolgschaft. Direkter Zwang aber klappt in modernen Gesellschaften auf Dauer nicht, indirekter Zwang durch Süchtigmachen nach Aufmerksamkeit und Likes (wie mittels Facebook etwa) vielleicht schon.
Wie 'leicht' hatte es die Evolution: Sie probiert und verwirft. Nach vielleicht zwei Millionen Jahren heißt es Bingo! Die Vergangenheit zeigt, dass es weit bessere organisatorische Lösungen von Arbeitsteilung und Führung gegeben hatte, als Politik und Management derzeit anbieten.
Das leuchtende Beispiel hierfür ist die Endosymbiose, der erfolgreichste Schachzug der Evolution: Endo + syn + bio = innen + miteinander + leben, also ein Miteinanderleben im (gegenseitigen Inneren).
Was schon bekannt ist, viele Aufgaben erledigt man am Besten in der Gruppe - einer kann das, der andere jenes. Viren und Urbakterien haben ein solches inniges 'Zusammen'-Leben versucht: als ungebetene Parasiten, als widerstrebende Wirte, als Räuber oder als Beute, wobei die Beute im Leib des Räuber am Leben geblieben war und diese in der Folge ein aneinandergekettetes Gespann bildeten.
Ein solches - langfristig gedeihliches - Miteinander entstand vor etwa eineinhalb Milliarden Jahren. ZUm Beispiel sehen wir ein spezielles, innen lebende Bakterium als energielieferendes Organ der Zelle, als Mitochondrium, an. Es war ursprünglich ein selbständig lebendes Einzelwesen gewesen und weist heute noch eine rudimentäre DNA auf.
Eu-Karyoten heißt 'echten Nussähnliche'. So bezeichnen Biologen jene Zellen, die im Mikroskop wie Walnüsse aussehen. Diese Zellen fallen auf: Sie sind im Schnitt zehntausend bis hunderttausendmal so groß wie Bakterien und weisen eine kompliziertere innere und äußere Struktur auf.
Aufgrund des Zusammenschlusses mehrere Mikroorganismen können Eukaryoten einige Wunder gleichzeitig vollbringen: Eine komplizierte innere Struktur aufbauen, Erbinformationen in mehreren Chromosomensätzen gesichert verankern und ausreichend Energie erzeugen.
Die Leistung des inneren Zusammenlebens kann nicht genug gewürdigt werden: Würden Sie Ihr eigenes Heim aufgeben, nur damit das Unternehmen, in dem sie arbeiten, mehr Gewinn abwirft? Oder drastischer: Würden Sie Sex aufgeben, nur damit Ihr Chef es besser tun kann? Wohl nicht! Und doch war Ähnliches geschehen. Wieviel Vertrauen mussten diese Urbakterien zueinander im Laufe der Zeit entwickelt haben!
Werden wir Menschen ähnlich Geniales wie die Nussähnlichen erfinden? Haben wir überhaupt Jahrmilliarden Zeit?
Reinhard Neumeier, August 2013
Eine nett zu lesende Quelle mit weiteren technischen Details: Martin u. a. (2013): Zellbiologie / Der Schritt zum komplexen Leben, in: Spektrum der Wissenschaft, Juli 2013, S. 40-45