„Geister in der Bakterienwelt? Bakterien fürchten sich vor Gespenstern?“ Ich ernte eine amüsiertes Grinsen von meiner elfjährigen Tochter. Erheiternd die Vorstellung, dass nicht nur Menschen, sondern auch Mikroben ihre natürliche Welt ins Geistige verdoppeln: Gläubige Mikroben feiern Weihnachten und Ostern, sie gehen in die Mitternachtsmette am 24. Dezember suchen zu Ostern nach Mikrobeneiern. :-)
Leider haben wir Erwachsene wenig Grund zum Schmunzeln. Unsere Köpfe quellen über von Geistern, Sternzeichen und magischen Energiefeldern einer nicht greifbaren Welt. Wir vielfach aggregierte Mikrobenlebewesen (eben Vielzeller) können nicht genug kriegen von Göttern, Teufeln oder Energien, welche die materielle Welt beeinflussen oder gar steuern sollen. Im 21. Jahrhundert feiern Engelswelten fröhliche Urstände.
Jede geistige Welt stellt Metaphysik dar. Das ist eine philosophische Auffassung, wonach etwas „nach“ oder „hinter“ der Physik, eben der materiellen Welt, sein soll. Gut, könnte ja sein. Spricht man Menschen jedoch auf Welt jenseits des Mensch, etwa unserer nächsten Verwandten von Schimpansen, so verfliegen diese Schatten einer zweiten Physik, einer erdachten Welt sofort.
Metaphysik wird auf der Ebene von Schimpansen, Papageien, Regenwürmern oder Bakterien als lächerlich angesehen. Hier gilt plötzlich auch für streng Gläubige der Naturalismus. Der Naturalismus ist eine philosophische Auffassung, wonach alles, was es gibt, auf natürlicher Basis existiert. Alles geht mit rechten Dingen zu. Hexen, Kobolde, Götter, Wunder und andere übernatürliche Phänomene kommen im Naturalismus nicht vor.
Folgende Fragen tauchen auf: Wo verläuft die Grenze, bis wann gilt der Naturalismus, ab welcher Ebene soll es Geister, Feen und Wunder geben? Und die Gründe müssen auch benannt werden: Warum soll der Naturalismus gerade ab dieser (behaupteten) Grenze gelten und warum vorher nicht?
Ab wann gibt es eine spirituelle Welt, ab wann existieren Ahnengeister, Feen, Nymphen, Götter, Engel, Heilige und Teufel? Grenze bedeutet als (willkürliche) erste Auswahl der Lebewesenart auch weiters, dass nur ausgewählte Menschen (zweite Auswahl) durch eine ausgewählte Religion (dritte Auswahl) erlöst oder erleuchtet werden. Als vierte Auswahl in der Dimension Zeit gilt: nur jene, die seit 1.400 oder 2.000 oder 2.500 Jahren die kaum mehr verständlichen Worte eines lang verstorbenen vergöttlichten Sektenführers oder Reformators als wahr ansehen oder nur solche heute lebende Gläubige, welche die Anweisungen lebender Bischöfe, wiedergeborener Lamas oder Sadhus befolgen?
Warum werden jene Menschen, die vor diesen Gründungszeiten aktueller Religionen gelebt haben, ausgeschlossen? Also jene Individuen der Art Homo sapiens, welche die letzten 300.000 bis 400.000 Jahre gelebt haben. Und wie ist das mit jenen, die noch früher gelebt haben? Viele Feldstudien in jüngster Zeit zeigen, dass Gefühle und Bewusstsein Phänomene sind, die viele Arten in unterschiedlichen Formen aufweisen. Dennn sogar Fliegen empfinden Angst, wenn man sie jagt.
Wenn das gilt, haben frühe Menschen oder intelligente Tiere „halbe“ oder „kleine“ Seelen, sozusagen Seelchen. Variieren Seelen quantitativ oder sind sie ein rein qualitatives Phänomen? Sind Seelen vergrößer- und verkleiner- oder teilbar?
Diese Fragen sind weniger lächerlich als sie im ersten Moment klingen, schließlich ordnen wir die lebendige Welt intuitiv nach dem Grad von zugeordnetem Intelligenz ein in Kleinkinder, Erwachsene, Schimpansen, Hühner oder Regenwürmer. Dieses Weniger oder Mehr an Seelischem hängt aus intuitiver Sicht mit dem jeweiligen Einsichtsvermögen oder Entwicklungsstand in der realen Welt zusammen. Da Evolution naturwissenschaftlich gesichert ist (außer er heißt Trump), hieße das im Umkehrschluss, dass die geistige Welt abhängt von der Entwicklung in der realen Welt! Also genau andersrum als man sich übernatürliche Phänomene vorstellen.
Nicht wir hängen von der geistigen Welt ab, sondern diese von uns.
Wir Menschen sind die schöpfenden Götter dieser Geistesgötter.
Reinhard Neumeier
Juli 2019