Geistes(?)wissenschaften 

 

Le lettere
so heißen die Geisteswissenschaften (neben le scienze umanistiche) im Italienischen1. Also Buchstaben, Briefe oder eben geschriebene und gedruckte Buchstaben in Texten. Einmal geschrieben oder gedruckt, bleiben sie festgehalten bis in alle Ewigkeit. Oder das Papier zerfällt. Darüber kann man stunden-, tage- oder jahrzehntelang nachdenken und dementsprechend Inhalte virtuell im Kopf hin- und herbewegen, zergliedern, auflösen und neu zusammensetzen.

Das impliziert der rund 200 Jahre alte deutsche Begriff "Geistes"-Wisssenschaften für Kunst, Musik, Religion, Philosophie, Sprache etc. Ein Begriff mit einem hohen idealistischen Anspruchsniveau. Der Geist (im Deutschen männlich, was sonst) wird als nichtfassbares Wesen verstanden. Völlig losgelöst von der Materie.

Der Geist fungiert als weltfremdes, wahrscheinlich sogar widernatürliches Gedankenkonstrukt. Denn die Wissenschaften konnten bisher keine Belege für geistige Phänomene ohne korrelative körperliche Grundlagen erbringen.

Ganz anders der italienische Begriff. Le lettere erdet und verankert das Tun lebendiger Wesen aus Fleisch und Blut mittels schwarzer Tinte auf weißem Papier. Und nichts sonst. Hier sieht man die Vorteile, simpel erscheinende Einsichten aufgrund einer Fremdsprache angeboten zu erhalten. Man kann somit eine schräge Weltsicht – wie sie im trennenden Dualismus von Geist und Materie nach Descartes vorhanden ist – korrigieren.

11. April 2024

 

 

 

Symbol für die konstruierte Tennung von Geist und Materie 
oder Symbol für das natürlich ineinander verflochtene Leben? 

Isola San Michele - Friedhofsinsel in der Venezianischen Lagune