Praktische Methoden

 
Umweltvergessen im Lesen versunken sein - egal, ob in einer Boulevardzeitung, einem Fachbuch oder vor dem Bildschirm. Das ist die hohe Kunst, in fremde Welten einzutauchen und zu lernen. Das Lesen erzeugt ein Theater im Kopf, es lässt Dramen oder Lustspiele entstehen. Wir selbst stellen Regisseur, Schauspieler und Zuseher dar. Alles in einem und alles gleichzeitig.
 
Am Ende klatschen wir oder brechen das Stück nach wenigen Augenblicken ab, falls es uns nicht gefällt. 
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Unsere technisierte und elektronisierte Gesellschaft beruht zum größten Teil auf dem Lesen, auf dem Aufnehmenkönnen und der Auseinandersetzung mit geistigen Inhalten. Rezepte, Gesetzestexte, Romane, Comic-Hefte oder Straßenschilder an Häusern: hier geht es um Inhalte, die virtuell vermittelt werden.
 
Die Vermittlung und Auseinandersetzung mit den Inhalten findet häufig in schriftlicher Form statt. Eine Schrift besteht aus Symbolen. Das sind Zeichen, die für etwas Anderes (Reales oder Abstraktes) stehen. Diese Symbole wollen verstanden sein.
 
 
Leser auf einem Gemüse- und Obstmarkt in Kalabrien/Süditalien
 
Lesen heißt, diese Symbole zu verstehen, heißt Eintauchen in die geistigen Inhalte, die hinter den Symbolen liegen. Es ist ein Beamen in eine fremde Welt. Das Schönste am Eintauchen ist jenes selbstvergessene Lesen, das durch einen spannenden Krimi oder eine rührende Liebesgeschichte erzeugt wird.
 
Die Umwelt versinkt, wir leben in und mit den handelnden Personen, fühlen mit den Helden und empfinden Befriedigung, wenn Mörder gefasst werden (Vielleicht klappt das mit den Wirtschaftsbetrügern und steuervermeidenden Großkonzernen auch wieder besser ;-)  )
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--> Je mehr wir in diese Welt eintauchen, je spannender und emotional befriedigender sie ist, umso farbenfroher und lebendiger erfahren wir die Geschichte. Dadurch behalten wir sie besser im Gedächtnis und das Gelesene wird auch unser zukünftiges Verhalten beeinflussen. Wir überdies motivierter  sein, bald wieder zu lesen, und so zu lernen. 
 
Psychologen nennen das intrinsische Motivation. Dies ist ein Bestreben, etwas zu tun, welches von innen kommt. Ein Drang zu einer Tätigkeit (in diesem Fall zum Lesen), der ohne Umwege sofort Befriedigung schafft. 
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Der Gegensatz ist extrinsisch motiviertes Lesen. Hier wird das Lesen von außen an uns herangetragen, fast schon ein bischen erzwungen. Lehrer, Kollegen oder Vorgesetzte wollen was von uns. Befriedigung gibt es auf Umwegen erst später: Durch positive Schulnoten, geschafften Studienabschlüssen oder Aufstieg am Arbeitsplatz. 
 
--> Der große Trick des effizienten Lesens (und damit auch eines ergebniserfolgreichen Lernens) besteht darin, all die Fachbücher und Aufsätze so in Angriff zu nehmen, dass sie zu hohen Anteilen intrinsisch gelesen werden. 
 
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Reinhard Neumeier, August 2010
  

 

"Quaquaqua und soundso ergibt quaquaqua."
(Beliebiges Fachbuch / erstes Kapitel / Beginn des zweiten Absatzes)
 
War das Ihr Beginn des Lesens - den dicken Wälzer aus dem Regal genommen und mit der ersten Seite des ersten Kapitels begonnen? Sie haben die Schlacht um den Inhalt vielleicht schon verloren. Deutlich aussichtsreicher, sich den Inhalt sowohl überhaupt als auch das Wichtigste auf Dauer anzueignen, ist ein Lesen vor dem Lesen!
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Lesen Sie zuerst, was Sie demnächst lesen wollen! Dann wissen Sie, was auf Sie zukommt, Ihr Gehirn darauf einstellen und entsprechende Assoziationen mit ähnlichen Erfahrungen aktivieren.
 
--> Sie werden gezielter und aufmerksamer die Inhalte erfahren und diese Gelesene im Verbund der aktivierten Assoziationen einspeichern. Heißt: Das Gelesene wird besser gemerkt!
 
 
 
Ägyptische Hieroglyphen: Ein Dauer-Jahreskalender 
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Ein Lesen vor dem Lesen bedeutet, zuerst von hinten anzufangen: Das Buch wenden! Auf der Rückseite steht meist in kurzen Sätzen, wovon das Buch handelt. Den Umschlag nicht zu lesen, heißt, an der falschen Stelle Zeit sparen. AutorIn und LektorIn haben sich bemüht, auf der Rückseite den Inhalt kurz und prägnant zu charakterisieren. 
 
Unser Gehirn nimmt diese Information dankbar auf, wir kennen nun den Horizont des Buches und ahnen, was auf uns zukommt. Und fühlen uns anschließend etwas wohler, denn das Meer an Buchstaben, Zahlen und Sätzen ist zwar noch weit und tief, aber nicht mehr unbekannt.
 
Doch selbst jetzt ist es zu früh, mit dem ersten Satz des ersten Kapitels zu beginnen. Vorher gilt es, sich das Inhaltsverzeichnis vorzunehmen. Und dann die - hoffentlich prägnante und kurze - Einleitung. Inhaltsverzeichnisse und Einleitungen helfen, die Untiefen des Sees inhaltlich erstmals auszuloten.
Sie erkennen, welche Kapitel voraussichtlich wichtig und welche unwichtig sind. Letztere brauchen Sie meist gar nicht mehr lesen.
 
Das Richtige zu lesen ist wichtig und nicht den Füllstoff. Autoren und Verlage neigen bisweilen zum Füllen. Der Kaufende soll für sein Geld was in der Hand haben. Viele US-Bürger wollen nicht mehr als 3 oder 4 Cent pro Seite zahlen. Füllmaterial gilt es zu erkennen und zu umgehen
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Und damit einen Schritt zurück: Auswahl aus Mehrzahl! So seltsam das klingen mag: Wollen wir effizient lesen und nachhaltig lernen, so empfiehlt es sich, auf mehrere Quellen zuzugreifen. Besser zwei unterschiedliche Bücher zum selben Thema überblicksartig zu lesen als eines von Seite bis Seite 456!
 
Die Gründe sind einfach: Ein Autor bevorzugt das Formale und Mathematische und liebt Tabellen, bietet dafür nur einen trockenen und wenig redundanten Schreibstil. Techniker werden das bevorzugen. Kulturwissenschaftler dagegen werden leiden. Sie finden einen Autor aufschlussreicher, der dasselbe Thema erzählerisch mit Beispielen und Vergleichen behandelt. Jedem eben das Seine.
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Zwischenfazit: Wir brauchen für effizientes Lernen Mut in zweifacher Hinsicht: Sowohl zur Lücke als auch zur Mehrzahl!  

  • --> Das reduziert den Stoff auf das wirklich Wesentliche. Zweitens sollten wir Stellen aus zumindest zwei Büchern lesen.
  • --> Das erhöht die Chancen, den wirklich wesentlichen Stoff gut auf individuelle Weise aufzunehmen und so besser zu verstehen und zu merken.
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Reinhard Neumeier, August 2010

 

Versunken sein - so taucht das Gehirn ein in die Zauberwelt der Symbole. Richtig angelegt, wird jede Schrift zur  Pforte in eine magischen Welt. Nimm einen Stift und mach es wie Harry Potter, der übersinnliche Puzzleteile zusammenführt.
 
Jeder Satz stellt eine Regieanweisung im Kopf dar für die Aufführung eines Theaterstücks. Daher geht es darum, die entscheidenden Szenen im Text zu finden. Zum Beispiel durch Markieren.
 
Dieses Markieren ist mehr als nur ein Anstreichen am Papier. Die Szene wird im Kopf durchgespielt - ob sie passt. Falls du eigene Notizen am Rand dazu machst, veränderst du die Szene, wie es jeder Regisseur macht. Außenstehende werden bloß sehen, dass unterstrichen wird, ein Ausrufungszeichen gesetzt, ein paar Wörter als Kurzkommentar dazugeschrieben oder eine kleine Zeichnung auf den Seitenrand gemalt wird.
 
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Innerhalb der lesenden Person ist etwas lebendig geworden: Aus dem abstrakten Fachstoff wurde die Szene eines Theaterstücks. Als  erfreulicher Effekt dieses Lebendigwerdens verankert sich die Szene im Gedächtnis. Wichtig zum Merken ist, was weiß ich schon, das zur neuen Szene passt. 
 
Jede Verknüpfung zu bisherigen Gedächtnisinhalten erleichtert das Erinnern. Getreu dem Sprichwort: Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu. Vom voluminösen Fachbuch braucht man im nächsten Lern-Durchgang nur mehr die unterstrichenen und kommentierten Stellen lesen. So funktioniert effektives Lern-Lesen oder Lese-Lernen.
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Reinhard Neumeier, August 2010
 
 
PS: Ein Bleistift ist jedem Kugelschreiber oder Füllfeder vorzuziehen, denn man kann seine Striche beim nächsten Lesedurchgang verändern. Die Gewichte können sich verschoben haben - die  Szene wird teilweise neu - und vielleicht besser - inszeniert.
 
PPS: Sehr ungünstig sind die neonfarbenen Marker. Diese Farben sind so stark, dass man sich die auffallenden roten oder grünen Flecken merkt und nicht den Inhalt, der dadurch hervorgehoben werden sollte.
  
 
 
 
Das Beste am Emmentaler sind seine Löcher. Bücher schmecken am besten, wenn wir sie wie Hartkäse mit großen Löchern behandeln. Seien wir Feinspitze und genießen den Käse gut gereift bei Zimmertemperatur und - vor allem - in Maßen!  
 
--> Es genügen Schlüsselstellen, um die Grundgedanken eines Textes zu verstehen. Zu erkennen durch:
 
  • Lesen aus der Vogelperspektive: Vorneweg flüchtig durch die Seiten blättern. Das Wichtigste wird nahezu immer mehrfach wiederholt: Ob in der allgemeinen Einleitung, in der Kapitelüberschrift (= kompakte Inhaltsangabe), dem Beginn eines Abschnittes, in der Erläuterung der ersten oder zweiten Graphik eines Kapitels, als Fazit oder in der Zusammenfassung am Ende des Buches.
  • Lesen in Sinngruppen. Bitte nicht, den Inhalt Wort für Wort zu erlesen. Ein Wort-für-Wort-Lesen gleicht einem holprigen Wort-Buchstabieren. Besser, von Anfang an, Sinngruppen bilden. Ein gutes Hilfsmittel zum Erlernen und routinierten Durchführen des Sinngruppenlesens ist ein Unterstreichen oder Notizenbilden mit dem Bleistift.

 

 

  • Haltmachen am Ende jedes Kapitels und fragen: Was war die Grundidee dieses Kapitels? Eventuell zurückblättern, den Bleistift nehmen und die vermutete Grundidee unterstreichen. Dieser Schritt erfordert viel Disziplin.
  • Findet man die Grundidee auch beim Zurückblättern nicht, betrachte das ganze Kapitel - vorerst - als unwichtig.

 

Reinhard Neumeier, August 2010

 

Je hastiger wir lesen, umso weniger verstehen wir. Ein Schnell-Lesekurs lehrt, Zeit einzusparen. Man kann nun wie ein ICE-Zug mit 300 km/h durch die Buchstaben jagen. Das gleicht jenem Theatersouffleur, der den Schauspielern eines schönen Tages doppelt so schnell Rollentexte vorspricht als üblich.
Entweder rasen nun die Akteure ebenfalls auf der Bühne herum und die Zuschauer verstehen das Stück nicht mehr - und werden dieses Theater nicht mehr besuchen, der die Schauspieler ignorieren den rasenden Souffleur und improvisieren.
 
 
Unter Druck dieselbe Menge an Wörtern schneller zu lesen, ist lernpsychologisch ein Unsinn. Das Forcieren der bloßen Geschwindigkeit verhindert das Verstehen. Assoziationen werden im Gedächtnis weder hervorgekramt noch elegt. Der rasende Leser gibt seinem Gedächtnis keine Zeit. Das Ergebnis wird daher ein geringes langfristiges Erinnerungsvermögen des Gelesenen sein.

 

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Deutlich besser als alles schneller lesen zu wollen ist, intelligent Ausgewähltes zu lesen. Hier kommt man durch die Auswahl interessanter Teile und durch ein Vermeiden des Füllstoffes besser voran. Zum Beispiel durch die Methode des Zwei-Schritte-Diagonallesens = Überfliegendes Querlesen + Probebohrungen.

 

Wenn man schon weiß, worum es thematisch im Text  geht, man dies angereichert um spezifische Details oder herausragenden Wissensstücken ("Diamanten") wissen will, so kann man so vorgehen: Die Seiten innerhalb eines Kapitels diagonal von links oben nach rechts unten überfliegen. 

Findet das Auge ein interessantes Wort oder eine auffällige Wortgruppe, dann um diese Fundstelle konzentrisch kreisförmig lesen, um den Inhalt dieses Fundes zu verstehen und einordnen zu können. Manchmal findet man nichts, manchmal belohnt eine einprägsames Beispiel oder Detail. Rückwirkend werden nun vorherige thematische Schlüsselstellen verständlicher  oder besser im Gedächtnis verankert.

 

Natürlich gilt: Je geübter Sie sind oder je mehr fachliches Vorwissen vorhanden ist, umso besser funktioniert das. Ein großes Netz zum Einordnen und Speichern ist ja bereits da. Ebenso gilt: Mit dieser Methode eines selektiven Lesens findet man nicht zu 100 % alle relevanten Stellen. Aber es ist oft besser, Abschnitte und Kapitel durch überfliegendes Lesen zu verstehen als gar nicht. Und damit viel Zeit einzusparen.

 

Die beschriebenen Methoden eines effizienten Lesens widersprechen den Lesemustern, die wir in der Grundschule eingeübt haben. Diese Muster machen anfangs Sinn und als Basis für später. Ein lineares Alleslesen kann für manche Zwecke viel zu aufwändig, eventuell sogar hinderlich sein. Effizienz beim Lesen heißt, einen Werkzeugkasten verschiedener Lesemethoden zur Verfügung zu haben und die einzelnen Werkzeuge zweckgerecht anwenden. 

 

Reinhard Neumeier, August 2010