Vier Essay-Folgen zu Wittgensteins sind bisher online - und nur Kritik. Das ist nicht gut! Was aber ist das Gute am Hauptwerk des jungen Wittgenstein?
Nun, es ist die numerische Gliederung seiner Gedanken. Eben getreu seiner Auffassung, logische Überlegungen anzubieten. Wer je ungegliederte Satzseen philosophischer Texte durchschwimmen wollte oder musste, wird das begrüßen. Wittgenstein präsentiert seine Gedanken in einer hierarchischen Struktur. Die Inhalt der Sätze sind somit voneinander klar abgegrenzt:
Er verwendet bis zu vier Unterebenen und nützt überdies die Reihenfolge der Darstellung als zusätzliche Einordnungsdimension. So setzt er nach dem Paukenschlag der Hauptkategorie 3 "Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke" auf der dritten Unterebene mit der Potenzialität dieser Kategorie fort: "Wir könn[t]en uns ein Bild von ihm machen".
Diese Darstellungsform in Hierarchien hat er aus der Mathematik übernommen. Didaktisch ist hier ein 'Sehr gut' zu vergeben! Denn so gelingt es Produzenten philosophischer Textwüsten nicht mehr, fehlerhafte oder unlogische Darstellungen im Nachhinein durch Betonung anderer Textstellen oder Neuinterpretationen im Sinne 'So wars ja nicht gemeint' auszugleichen.
Das folgende Mindmap zeigt einen Auszugs aus der Kategorie 3: Die Wittgensteinschen Gedanken sind dadurch rascher einzuordnen und werden so transparent.
Klar sträuben sich mir die Haare, wenn es heißt, dass der Gedanke das Bild von Tatsachen sei - ein fixiertes und starres Bild von Tatsachen. Evolutionsbiologisch bedingt können wir Menschen uns kein statisches Bild von etwas machen - vermutlich können das auch die anderen Tiere nicht. Wir animalischen Lebewesen, welche sich im Gegensatz zu den Pflanzen als mobile Wesen entwickelt haben, kennen Abläufe bzw. Szenen eines Geschehens. So haben's unsere Vorfahren viele hunderte Millionen Jahre gelernt. Fotografien kennen wir Menschen 200 Jahre, in großen Quantitäten erst in den letzten vier Generationen. Ein statisches Bild ist uns daher nach wie vor wesensfremd.
Ach nein, nicht schon wieder Kritik an W.!
Also zurück. Nicht nur Applaus für die mathematisch strukturierte und damit rasch überprüfbare Gliederung des Traktats sei Wittgenstein gespendet, nein, er verdient einen Beifallssturm - standing ovations!
Reinhard Neumeier, Februar 2019