Nehmen wir das Beispiel Physik. Sie war über Generationen die Leitwissenschaft für andere Disziplinen. Denn die meisten wollten so einheitlich, so erfolgreich, so objektiv überprüfbar und mathematisch auf Punkt und Komma errechenbar werden wie die Physik. Die Geschichte der Physik zeigt diese Einheitlichkeit aber keineswegs.
Die Physik gliederte sich über Generationen in zahlreiche Unterfächer, die häufig aufgrund verschiedener Anforderungen und Methoden zueinander inkompatebel waren und sich als Unterdisziplinen daher weiter aufgliederten. Dann aber kam die große Wende: Unterfächer vereinigten sich zu immer größeren Gebieten. Der Grund dieser Fächerfusionen bestand im Erkennen von übergreifend wirkendenden Naturgesetzen:
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Newton vereinigte Kosmologie (die Lehre vom Ursprung, der Entwicklung und Grundstrukturen des Universiums) und Mechanik (Bewegung von Körpern).
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Maxwell verband elegant die vordem getrennten Gebiete Optik, Elektrizität und Magnetismus.
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Der Boltzmann schuf Übergreifendes für die Mechanik, Akustik und Thermodynamik und verband auf statistische Weise Mikrophysik und Makrophysik.
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Einstein wiederum fasste die Punkte 1 und 3 in der Allgemeinen Relativitätstheorie zusammen.
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Heisenberg, Schrödinger, Bohr, Paul und andere erarbeiteten um 1930 die Quantenphysik. Sie wurde die neue Grundlage vieler klassischer physikalischer Teilgebiete. Die Quantenphysik beschreibt präzise atomare, subatomare und sogar die Eigenschaften einfacher biologischer Systeme.
Die herkömmliche Physik bezog sich auf Greifbares, auf Bausteine jedweder Art, auf Zerstückeltes und im tiefsten Kern auf Totes und Unbewegtes. Ähnlich einem Haus, das aus übereinandergeschichteten, aus Lehm gebackenen Ziegelsteinen besteht. Die alte Physik wurde als Portfolio von Naturgesetzen eines 'Verhaltens' toter Teilchen aufgefasst.
Die Hauptbotschaft dieser Wende zum Übergreifenden ist so simpel wie unangenehm: Relativitätstheorie und Quantenphysik zwingen uns eine neue Weltsicht auf! Die neue Physik bezieht sich auf Bewegungen und Impulse, also Nicht-Greifbares. Die neue Physik handelt von Zufälligem, Unscharfem, sowohl im unendlich Kleinen als auch im unfassbaren Großen.
--> Die moderne Physik erzählt vom seltsamen Werden und Vergehen der Welt auf der kleinsten und größten Ebene (dem Mikrokosmos und dem Makrokosmos), dem Beginn und der möglichen Zukunft unseres Universums.
Auf einer mittleren Ebene (= Mesokosmos = jene mittlere Größenordnung, in der wir leben) ist davon nichts zu bemerken. Dagegen geht es sowohl im Kleinsten und im Größten anders zu. Physik als Ausdruck des Verhaltens toter Teilchen ist daher im Grunde kein geeigneter Begriff mehr für dieses Wissenschaftsfach.
--> Eher würde ein Ausdruck wie Physiodynamik geeignet sein: Das beschreibt die Dynamik energetischer Dichteimpulse in einer gekrümmten Raum-Zeit. Aus dem Streben der alten gegenständlichen Physik „Was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust I) wird „Was die Welt im Inneren und Äußeren bewegt“.