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Das Ich ist ein Sozialwesen
Vor einiger Zeit wurde hier behauptet: Ein gut verstandener Verzerrungsfehler, ein Verständnis, das zu einem weniger verzerrten Sehen der Welt führt, ersetzt (fast) ein Psychologie-Studium.
Das ist einen Bachelor of Science wert. Die Behauptung nun: Der Mensch ist ein genuin soziales Lebewesen, ein Herdentier. Das zu verstehen, sollte einen Master of Science wert sein.
Für uns Heutige im Globalen Norden führt das zum Aufhorchen. Denn seit Jahrzehnten wird uns der Individualismus eingehämmert.
Viele psychologische Studien zeigen, dass wir uns - bei Begegnung mit anderen - innerhalb weniger Sekunden mental für oder gegen die Gruppenzugehörigkeit zu diesen anderen entscheiden. Wir schließen uns ihnen an oder betrachten sie als Feinde.
Innerhalb weniger Augenblicke werden wir zum realen Mitglied einer (vermuteten) Rotte. So sind wir strukturiert.
Ein millionenjahrelang dauerndes Zusammenlebenmüssen hat uns so gepolt. Aus der Gruppe ausgestoßen zu werden und anschließend als Einzelner überleben zu müssen, war das Todesurteil.
Die Social Identity Theory (SIT) von Henri Tajfel ist nur eine von vielen Theorien, welche dies zum bewährten Kern ihrer wissenschaftlichen Ansichten gemacht haben.
Was hat das für Auswirkungen auf das Heute? Das schnelle - und vorerst unsichtbare - Zusammengehen erzeugt gute Gefühle. Diese Gefühle und die damit zusammenhängenden Verhaltensweisen schweißen zusammen, machen stark.
Zugehörigkeitsgefühle jedoch machen blind gegenüber den Vorstellungen anderer. Wir sehen die Fakten und vernünftigen Vorstellungen anderer nicht mehr, sie sind wegradiert.
Das instinktive Trachten, einer Gruppe anzugehören, wird durch den Verzerrungsfehler (siehe oben: Bachelor of Science) verstärkt. Wir schlürfen die Ansichten der Wir-Gruppe auf wie ein Verdurstender das Wasser. Und sehen durch die Gruppenaugen die umgebende Welt noch verzerrter.
Die Corona-Pandemie offenbart dies deutlicher als je zuvor. Ist die Horde gegen Gesichtsmasken, wird das Virus gemeinsam als leichte Grippe und damit als Schwindel angesehen.
Und deswegen soll ich mein normales Leben und die dazugehörigen Freiheiten aufgeben? Freiwillig testen? Das heimliche gesellige Treffen mit den Freunden in der Heimsauna stornieren?
No, nein, niemals - und das im Chor.
Die Pandemie ist wie eine Operation am offenen Herzen der Menschheit, welche global im TV übertragen wird. Wir sehen, was die Welt im Innersten zusammenhält oder trennt. Die mit der Pandemie eng zusammenhängenden und unwirklich erscheinenden Geschehnisse in den USA um Trump werden durchschaubar. Seine Anhänger sehen sich als Gefährten im Überlebenskampf. Sie glauben, was sie wünschen und sie sehen das Gewünschte als Faktum: Natürlich war die Präsidentenwahl war getürkt, natürlich, hat der tiefe Staat betrogen.
Trump hat gewonnen, das twittert er doch zehnmal am Tag. Drei von vier Trump-WählerInnen, insgesamt mehr als 50 Millionen AmerikanerInnen (ja, auch viele Frauen), sind davon überzeugt. Der Ausgang dutzender Gerichtsverfahren belehrt sie nicht eines Besseren, sondern bestärkt sie im Gegenteil nur noch in ihrer durch Lüge entstandenen Überzeugung, dass bei dieser Wahl Betrug im Spiel gewesen ist.
Und Trump – verantwortlich für das administrative Nichtstun in der Pandemie und so letztendlich Hauptzuständiger für einige hunderttausende Tote – wird ab 2021 als Präsident-im-Exil die Politik weiter durchschütteln. Und als potenzieller US-Präsident ab 2025 die USA und die Welt aufmischen. Zur Realität geworden aufgrund seines Zugriffs auf die Führer-Fantasien seiner sozial eingeschworenen Fans.
Mitte Dezember 2020 und 2023
Im burgenländischen Seewinkel - die Pustanähe ist unübersehbar.
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