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Die folgenden Essays sind thematisch auf Lernen und Lehren in den Bereichen Universität, Hochschule oder akademischer Lehrgang ausgerichtet. Der Fokus liegt auf dem Verfassen von Forschungsarbeiten wie Bachelor-, Master, Diplomarbeit oder Dissertationen.

Ich hoffe, sie wecken ebenso ein Verständnis für die bisweilen aufrüttelnden psychischen und sozialen Geschehnisse rund um die Prozesse des Entstehens und Schreibens akademischer Arbeiten.

 

  

PS: Zu den Kommentaren bitte den Beitragstitel angeben. :-)

 


 

 

 

 

 

 

Die "Third Mission" von Universitäten

 

 

 

 

Werden Aktivitäten, Dokumente und Aussendungen von Universitäten aus der Distanz betrachtet, so drängt sich eine Schlussfolgerung auf: Forschung und Lehre sind nicht mehr das Um und Auf deutschsprachiger Universitäten. Die Humboldt’sche Universität mit ihren zwei fundamentalen Aufgaben hat ausgedient. Obwohl seit Generationen erfolgreich praktiziert und international nachgeahmt, wird die Humboldt’sche Universität Schritt um Schritt verwässert.

Denn zur Forschung (der ersten Aufgabe, die nun First Mission heißt) und zur Lehre (der zweiten Aufgabe, die nun Second Mission heißt) gesellte sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine dritte Aufgabe. Sie ist breit und umfangreich angelegt, und – wie der Begriff „Mission“ vermuten lässt – spielt Moralisch-Ethisches neben neoliberalen wirtschaftlichen Aspekten eine große Rolle.

Die Universität soll Industrie und Gesellschaft fördern sowie kulturelle, soziale und ökologische Projekte durchführen. Etwas detaillierter enthalten diese zusätzlichen Third-Mission-Aufgaben Folgendes:

  1. Förderung der Industrie durch Innovation, Patentierung und wirtschaftliche Verwertung von Forschungsergebnissen;
  2. Zeigen von gesellschaftlichem Engagement und Verantwortung für sowie Partizipation an sozialen Projekten;
  3. Förderung der kulturellen Entwicklung durch Organisation von Ausstellungen und öffentlichen Vorträgen;
  4. Implementierung von Inklusion und Nachhaltigkeit am Campus. 1

 

Diese vielfältigen Aufgaben verleiten zur Überlegung, dass diese Third Mission eigentlich eine Fourth, Fifth und Sixth Mission bedeutet. Dadurch soll die Universität zum Akteur in vielen Bereichen der Gesellschaft werden. Die Universität soll durch ihre Ressourcen und ihr Wissen zur Lösung von sozialen Herausforderungen beitragen, denn sie schultert nun auch eine Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Universität soll zu einer transferorientierten Kommunikation wechseln. Ziel ist es, die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit global zu steigern. Dies soll durch Anwendung des akkumulierten Wissenskapitals geschehen, um die Produktivität zu verbessern etc.

Bravo, so viele schöne Worte, so viel Wunschdenken! Im Überschwang dieser klingenden Begriffe wird ein fundamentales Prinzip unserer Welt übersehen: Es ist unmöglich, auf mehreren Kirtagen gleichzeitig zu tanzen. Das Prinzip der Superposition in der Quantenphysik, in der alle Möglichkeiten gleichzeitig vorhanden sind, gilt für unsere übliche Welt, dem Mesokosmos, nicht.

Oder gab es einen Durchbruch und es wurde an den Universitäten eine Zauberformel entwickelt – irgendwas mit Stringtheorie und elf Dimensionen? Gemäß dem Text auf der Website der größten Universität Österreichs, der Universität Wien, soll für einen Bereich der Third Mission gelten: Unsere Weiterbildungen sind forschungsbasiert, interdisziplinär, hochqualitativ, international und praxisorientiert.“2 Also doch, die eierlegende Wollmilchsau hat sich aus den vielen, ursprünglich zusammengeklappten Dimensionen der Stringtheorie materialisiert.

 

Lassen wir das als übliches Werbe-Geplänkel durchgehen, wie wir es bis zum Überdruss gewöhnt sind. In Österreich gewährte 2002 das Universitätsorganisationsgesetz den öffentlich finanzierten Universitäten eine hohe Autonomie. Und sie nutzen es auch. Sie diversifizieren, wie es Betriebswirtschaftler sagen. Die ersten beiden neuen Aufgaben der oben skizzierten vier werden  hinsichtlich ihrer Auswirkungen anhand des Beispiels der Universität Wien näher betrachtet.  

 

Erste Aufgabe der Third Mission: Förderung der Industrie

Die Uni Wien hat ein Transferzentrum eingerichtet. Dieses Zentrum soll den Technologie- und Innovationstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft unterstützen. Und offensichtlich macht das die Wiener Uni gut. So bewertet das globale Ranking von Times Higher Education (THE) Gesamtuniversitäten gemäß Indizes, die alle drei „Missionen“ berücksichtigen.3 Das Ergebnis 2024: Die Uni Wien wird mit dem Rang 119 ausgewiesen. Weltweit gesehen ist dies ein guter Platz. Details jedoch offenbaren eine Zusammensetzung der einzelnen Bereichsindizes, die nachdenklich stimmt. Der Rang 119 ist durch einen erheblichen Anstieg eines von fünf Bereichsindizes, nämlich jenes der Industrie (!), bestimmt.

 

Abbildung 1: Ranking-Entwicklung der Universität Wien bis 2024 mit Einzeldarstellung des Detail-Index Industrie

 

Die Uni Wien hat in den letzten beiden Jahren die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft intensiviert. Was einen erheblichen finanziellen Vorteil inkludiert – es fließen Drittmittel. Schön. Ich stelle mir aber Fragen: Wird mühsam und mit hohen Investitionen erarbeitetes Know-how unter der Hand verscherbelt? Werden beispielsweise langfristig wirkende Früchte aus der Grundlagenforschung kurzfristig gegen Kleingeld zugunsten von Realisierungen der angewandten Wissenschaften geopfert? So bringt etwa der Titel einer finnisch-amerikanischen Arbeit dieses Vorgehen auf den Punkt: „Kommerzialisierung der akademischen Forschung“4.

 

Zweite Aufgabe der Third Mission: Engagement in der Gesellschaft

Aufgabe hier ist nicht eine breit und tief gegründete Bildung, sondern definitionsgemäß eine Berufsausbildung. Die Erfordernisse des jeweils aktuellen Arbeitsmarktes diktieren, was Unis durchführen sollen. So bietet das Postgraduate Center der Uni Wien 70 maßgeschneiderte Programme an: „Postgraduate programs from the University of Vienna will provide you with specialized knowledge and give you a significant advantage in the employment market.“5

 

Hinweise dafür, dass Universitäten solche Zentren betriebswirtschaftlich als Profitcenter begreifen, sind zahlreich. Ein Profitcenter ist eine organisatorische und tendenziell selbständige Einheit, die Gewinne an das Gesamtunternehmen abliefert. In der simplen Version wird dies durch erhöhte Einnahmen und reduzierte Ausgaben erreicht.

Auf der Startseite des Transferzentrums heißt es verschämt: „Please note that the tuition fees [fett im Original] for our programs do not comply with the general tuition fee for studying at the University of Vienna.“5 Das bedeutet: Aufpassen, es wird teuer! So viel zur Einnahmenseite.

Auf der Ausgabenseite hat man viele Hebel. Aus den oben angeführten vierzehntägigen Veranstaltungen zur gemeinsamen Forschung und Lehre wird im System der Third Mission ein Methoden-Block, der an einem Wochenende gelegt ist, da die Studierenden sind berufstätig. Solche intensiven 2x8-Stunden-Blocks verhindern jedoch aktivierendes kognitives Lernen.

Kommt es zu einem gerade bei Forschungsmethoden zentralen Nach- und Weiterdenken, um ein tiefes Verständnis zu schaffen? Fehlanzeige! Die zynische Botschaft lautet: Mach dir allein zu Hause einen Reim darauf, gib ein strukturiertes Exposé zur geplanten Forschungsarbeit ab, lade ein oder zwei Jahre später eine (vor allem formal perfekt wirkende und formatierte) wissenschaftlichen Arbeit hoch.

Es ist unter den aktuellen Vorgaben und Strukturen nicht anders möglich. Nebenberuflich tätige LektorInnen sind überlastet und rationieren ihre Betreuungszeit. Denn diese externen BetreuerInnen erhalten ein Butterbrot als Lohn, dazu die Ehre, sich UniversitätslektorIn auf der Visitenkarte nennen zu dürfen.

Als Resultate können gesehen werden: (1) Diese Transfercenters sind wirtschaftlich ertragreich für die Universität. (2) Es entstehen Minderwertigkeitsgefühle bei in ihren Berufen bereits erfolgreichen Erwachsenen. (3) Es werden Masterthesen geschrieben, die keiner ein zweites Mal lesen will. Sieht so „gesellschaftliches Engagement“ aus?

  

Third-Mission-Folge: Forschung und Lehre als leidtragende Bereiche?

Was tut sich bei der jahrhundertealten Hauptaufgabe, der Forschung, der First Mission? Im direkten Vergleich der Uni Wien mit den sieben im Ranking benachbarten Unis sind die Punkte für Forschungsqualität der Uni Wien geringer:

 

  

Abbildung 2: Forschungsqualitäts-Index weist 77 Punkte für die Universität Wien aus, die benachbarten Unis liegen höher und zwar zwischen 84 und 91

 

 

 

Noch deutlich schlechter ist das Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden in der Second Mission, der Lehre:

 

 

Abbildung 3: Das Verhältnis an der Universität Wien ist 37 Studenten pro Lehrenden. Die benachbarten Universitäten weisen deutlich bessere Werte auf (zwischen 10 und 20 pro Lehrenden).

 

Und selbst das spiegelt nur eine oberflächliche Betrachtung wider. Mit rund 80% wird die überwiegende Mehrheit der Lehre von befristetem Personal wie Assistenten, Prä- und Postdocs, Drittmittelbeschäftigten und Lektoren getragen.5 Kein Wunder, dass in Sachen Lehre der THE-Index der Uni Wien im Vergleich zu den benachbarten Universitäten ungünstigere Ergebnisse aufweist:

 

Abbildung 4: Für die Lehre gibt es 49 Punkte für die Universität Wien; alle anderen benachbarten Unis liegen zwischen 51 und 56 Punkten

 

Man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Uni Wien an Ausgaben für das Lehrpersonal spart. Ich konnte in den 1980er- und 90er Jahren noch zweiwöchig stattfindende Diplomanden- und Dissertantenseminare erleben. Das sind Seminare, in denen First Mission und Second Mission integriert auftreten. In diesen wurde mit den Professoren, Assistenten und Studierenden gemeinsam das Design und die Methoden der Forschungsarbeiten besprochen sowie Ergebnisse interpretiert und diskutiert. Eben gemeinsam als forschende Gruppe mit gemeinsamen Aufgaben. Das spiegelt die universitas im ursprünglichen Sinn einer Humboldt‘schen Universität wider. Veranstaltungen mit einer solchen Qualität gibt es noch. Doch nicht überall ist Universität drinnen, wo Universität draufsteht, siehe obige Anmerkungen zur Durchführung von Lehre und Forschung im Rahmen Third Mission.

 

Third-Mission-Folge: KI und Ranking?

Die KI wird beim Faktor Third Mission kräftig mitmischen, insbesondere wenn Universitäten auf diese denk- und handlungsverändernde Innovation nicht, zu wenig oder uneinheitlich reagieren. Diese über Jahrzehnte „erarbeitete“ Effizienz universitärer Aktivitäten gerät nun ins Wanken. 

Kommen wir wieder zurück auf das THE-Ranking der Universität Wien. Und zwar auf die hohen Werte für den Internationalen Ausblick. Diese waren auch ausschlaggebend für den guten Rang. Dieser Index jenseits des nationalen Horizonts könnte bald wieder sinken. Zwei Gründe sollen hierfür genannt werden:

Erstens beruht der internationale Ausblick vor allem auf Forschung und Lehre, also den klassischen Aufgaben der First und Second Mission. Da die Third Mission im Hintergrund national orientiert ist (es soll ja die eigene Wirtschaft gefördert und die eigene Gesellschaft verändert werden), wird sie langfristig negative Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben.

 

Zweitens ist der Internationale Ausblick abhängig von der Reputation der Forschenden, von der Anziehungskraft der Universität für ausländische Studierende oder von potenziellen Kooperationen mit anderen Universitäten. Und hier kommt die generative KI ins Spiel.

Ohne wenigstens fakultätseinheitliche Regelungen für den Umgang mit KI wird die Hauptwährung in der Scientific Community, nämlich die Reputation, an Wert verlieren. Studierende aus dem Ausland werden sich genauer überlegen, ob eine Investition von Geld und Lebenszeit in ein Studium an rückständigen Universitäten sinnvoll ist.

Ebenso werden andere Universitäten kaum mehr daran denken, mit einer Universität zu kooperieren, die das innovativste kognitive Werkzeug der Gegenwart nicht regelkonform zu nutzen weiß.

 

15. August 2024

  

1 Diese vier Aufgaben stellen eine grobe Zusammenfassung vieler Facetten der Third Mission dar. Welche Möglichkeiten in welchen Institutionen gegeben sein können, zeigt ein 200-seitiges Werk: Hachmeister, C./Möllenkamp, M./Roessler, I./Scholz, C. (10.08.2024). Katalog von Facetten von und Indikatoren für Forschung und Third Mission an Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Third Mission CHE_AP_189_Katalog_Forschung_Third_Mission.pdf

2 Transferzentrum Universität Wien (08.80.2024). https://transfer.univie.ac.at

3 THE (08.08.2024). Times Higher Education https://www.timeshighereducation.com/world-university-rankings/university-vienna

4 Nikulaien, R./Tahvanainen, A. (2013). Commercialization of academic research. A comparison between researchers in the U.S. and Finland. Working Paper. ETLA Working Papers, No. 8, The Research Institute of the Finnish Economy (ETLA), Helsinki

4 Müller, S./Part, F./Pühringer, S./Völkl, Y. (26.04.2024). Warum eine Quote für Befristungen allein nicht reicht. Der Standard. https://www.derstandard.at/story/3000000217005/warum-eine-quote-fuer-befristungen-alleine-nicht-reicht

5 Postgraduate Center der Universität Wien (09.08.2024). https://www.postgraduatecenter.at/en/

 


 

 

 

 

 

Großer Vorteil des Schreibens von Forschungsarbeiten:

 

  

 

 

 

22. Februar 2022

 


 

Das Ich ist ein Sozialwesen

 

Vor einiger Zeit wurde hier behauptet: Ein gut verstandener Verzerrungsfehler, ein Verständnis, das zu einem weniger verzerrten Sehen der Welt führt, ersetzt (fast) ein  Psychologie-Studium.  

Das ist einen Bachelor of Science wert. Die Behauptung nun: Der Mensch ist ein genuin soziales Lebewesen, ein Herdentier.  Das zu verstehen, sollte einen Master of Science wert sein.

Für uns Heutige im Globalen Norden führt das zum Aufhorchen. Denn seit Jahrzehnten wird uns der Individualismus eingehämmert. 

 

Viele psychologische Studien zeigen, dass wir uns - bei Begegnung mit anderen - innerhalb weniger Sekunden mental für oder gegen die Gruppenzugehörigkeit zu diesen anderen entscheiden. Wir schließen uns ihnen an oder betrachten sie als Feinde.

Innerhalb weniger Augenblicke werden wir zum realen Mitglied einer (vermuteten) Rotte. So sind wir strukturiert.

Ein millionenjahrelang dauerndes Zusammenlebenmüssen hat uns so gepolt. Aus der Gruppe ausgestoßen zu werden und anschließend als Einzelner überleben zu müssen, war das Todesurteil.

Die Social Identity Theory (SIT) von Henri Tajfel ist nur eine von vielen Theorien, welche dies zum bewährten Kern ihrer wissenschaftlichen Ansichten gemacht haben.

 

Was hat das für Auswirkungen auf das Heute? Das schnelle - und vorerst unsichtbare - Zusammengehen erzeugt gute Gefühle. Diese Gefühle und die damit zusammenhängenden Verhaltensweisen schweißen zusammen, machen stark.

Zugehörigkeitsgefühle jedoch machen blind gegenüber den Vorstellungen anderer. Wir sehen die Fakten und vernünftigen Vorstellungen anderer nicht mehr, sie sind wegradiert.

Das instinktive Trachten, einer Gruppe anzugehören, wird durch den Verzerrungsfehler (siehe oben: Bachelor of Science) verstärkt. Wir schlürfen die Ansichten der Wir-Gruppe auf wie ein Verdurstender das Wasser. Und sehen durch die Gruppenaugen die umgebende Welt noch verzerrter.

Die Corona-Pandemie offenbart dies deutlicher als je zuvor. Ist die Horde gegen Gesichtsmasken, wird das Virus gemeinsam  als leichte Grippe und damit als Schwindel angesehen.

Und deswegen soll ich mein normales Leben und die dazugehörigen Freiheiten aufgeben? Freiwillig testen? Das heimliche gesellige Treffen mit den Freunden in der Heimsauna stornieren?

No, nein, niemals - und das im Chor.

 

Die Pandemie ist wie eine Operation am offenen Herzen der Menschheit, welche global im TV übertragen wird. Wir sehen, was die Welt im Innersten zusammenhält oder trennt. Die mit der Pandemie eng zusammenhängenden und unwirklich erscheinenden Geschehnisse in den USA um Trump werden durchschaubar. Seine Anhänger sehen sich als Gefährten im Überlebenskampf. Sie glauben, was sie wünschen und sie sehen das Gewünschte als Faktum: Natürlich war die Präsidentenwahl war getürkt, natürlich, hat der tiefe Staat betrogen.

Trump hat gewonnen, das twittert er doch zehnmal am Tag. Drei von vier Trump-WählerInnen, insgesamt mehr als 50 Millionen AmerikanerInnen (ja, auch viele Frauen), sind davon überzeugt. Der Ausgang dutzender Gerichtsverfahren belehrt sie nicht eines Besseren, sondern bestärkt sie im Gegenteil nur noch in ihrer durch Lüge entstandenen Überzeugung, dass bei dieser Wahl Betrug im Spiel gewesen ist.

Und Trump – verantwortlich für das administrative Nichtstun in der Pandemie und so letztendlich Hauptzuständiger für einige hunderttausende Tote – wird ab 2021 als Präsident-im-Exil die Politik weiter durchschütteln. Und als potenzieller US-Präsident ab 2025 die USA und die Welt aufmischen. Zur Realität geworden aufgrund seines Zugriffs auf die Führer-Fantasien seiner sozial eingeschworenen Fans.

Mitte Dezember 2020 und 2023

 


 Im burgenländischen Seewinkel - die Pustanähe ist unübersehbar. 

 


 

Covid-19 oder das globale Feldexperiment

 

Kultur- und Gesellschaftswissenschaftler sehen fruchtbaren Zeiten entgegen: Wie fühlt der Mensch in Krisenzeiten, wie handelt er und welche Denk- und Verhaltensmuster tauchen auf im Großverbund vieler Menschen, Kulturen und Gesellschaften?

Während meines Philosophie-Studiums an der Uni Wien in den 1990er-Jahren musste man in jeder wichtigen Prüfung irgendwas von Immanuel Kant sagen. Ich empfand das als Kant-Krankheit der Prüfenden, denn ein Vierteljahrtausend ist eine lange Zeit und die gegenwärtige Gesellschaft tickt ganz anders. Wirklich?

Vereinfacht gesagt kann der Einzelne nach Kant in drei aufeinander aufbauenden Stufen zur Erkenntnis kommen:

1. durch den Sinnesapparat kommt er zu ANSCHAUUNGEN,
2. ein Verstehen dieser Anschauungen im Rahmen einfacher Begriffe heißt VERSTAND und
3. durch das Anwenden von logischen Prinzipien durch eine reine, das heißt ohne Vorerfahrungen gefärbte, VERNUNFT.

Um zu tragfähigen Erkenntnissen zu kommen, muss nach Kant im Rahmen von Experimenten auf dieser dritten Stufe die Vernunft mit ihren Prinzipien „an die Natur gehen“. So Kant in den erklärenden Vorbemerkungen im seinem bedeutendsten Werk Kritik der reinen Vernunft. C.F.

Weizsäcker hat das im 20. Jahrhundert verschärft: Die Natur ist zu verhören. Im Sinne von zwingen, drücken, ja vielleicht sogar, ihr die Daumenschrauben anzulegen. So gequält, gibt die Natur Wahrheiten preis.

Die Natur hat den Spieß umgedreht. Sie experimentiert mit uns. In einem globalen einfaktoriellen Experimentaldesign mit dem Corana-Virus als unabhängige Variable werden wir Menschen getestet. Wir befinden uns im Schwitzkasten des Virus. Und sehen, was wir alles nicht können.

Wir - das ist die gegenwärtige Menschheit, die auf dem Spielfeld, nein, auf dem Schlachtfeld teils überlappender, teils differierender Weltanschauungen lebt: Kulturelle Anschauungen wir Individualismus, Tribalismus, Sozialismus, Liberalismus, Islamismus etc. Erste grundlegende Erkenntnisse sind da.

Und da schauen wir Westler (grob gesagt: Vertreter europäischer und nordamerikanischer Kultur/Zivilisation) schlecht aus.

 

Was sich in den USA an Ignoranz und Nichtwissenwollen abspielt, ist reine Karikatur. Die europäischen Gesellschaften sind nur mäßig besser. Die fernöstlich-asiatischen Gesellschaften kommen aufgrund ihrer Achtung für die Gemeinschaft deutlich besser mit der Pandemie zurecht.

Der westliche Vorsprung der letzten 400 Jahre, beruhend auf Wettbewerb, Wissenschaft und Technik (z.B. Waffen), ist weg. Das damit  zusammenhängende „weiße“ Überlegenheitsgefühl stellt sich im 21. Jahrhundert als unberechtigt heraus.

Nach Kant leben und kämpfen wir nach wie vor auf der ersten Stufe der Erkenntnis, den Anschauungen. Sad, so sad. Ich muss Abbitte bei Kant leisten – sein Schema ist fruchtbar.

6. Dezember 2020

 

 
 

 

 


 

Psychologische Bestätigungsfehler

 

Wir denken, dass die Regierung uns führt und leitet. Wir glauben, ohnmächtig den ExpertInnen zuhören zu müssen. Nein, das ist ganz und gar nicht so! Wir, die wir dem verkündenden Bundeskanzler, dem Gesundheitsminister, dem Innenminister und den Landeshauptleuten zuhören, beteiligen uns rasch und sehr aktiv am Gesehehen.

Wir mischen mit und zwar mit ganzem Einsatz! Wir mischen mit in einer - meist für alle negativ sich auswirkenden - Art. 

Das läuft so: Von den vielen psychischen Verzerrungen und systematischen mentalen Fehlern, unter denen evolutionsbedingt wir Menschen leiden, ist der Bestätigungsfehler wahrscheinlich der Bedeutendste.

Dieser besagt: Keiner von uns hört dem Gegenüber, etwa dem Friend in Facebook oder einem Redner, offen und aufnahmebereit zu. Keine und keiner! Die angewandte Psychologie sagt uns: Wir suchen beim Lesen von Postings, beim Zusehen oder Zuhören von Regierungs- oder Expertenaussagen automatisch nach Hinweisen, welche die eigene schon vorhandene Meinung bekräftigen.  

Sagt ein Experte etwas, das zu meiner Meinung passt - super!! Hab ich's nicht immer gesagt? Und was für ein toller Experte das ist, klaro!  :) 
Sagt einer etwas, das in die Gegenrichtung zeigt - was ist das nur für ein Idiot! Sicher ein verbohrter Wissenschaftler. Wieder einer, der von der realen Welt keine Ahnung hat. :(

Denn als Fundament des Confirmation-Bias gilt: Der gefüllte und schwere Rucksack der eigenen Meinungen ist der wichtigste Schatz, den ich habe. Er ist Teil meiner Identität, ist integraler Teil meines Ichs. Und dieses Ich gebe ich nicht her.

Bildete sich daher jemand zu einem den Alltag beherrschenden Thema wie der Covid-19-Pandemie eine Meinung, hat rationales Argumentieren tendenziell bereits verloren.
Jeder und jede gräbt sich von Woche zu Woche, von Monat zu Monat tiefer in seine ursprünglich nur grob skizzierte Meinung ein. Sie/Er verhärtet.

Die explodierenden Neuinfektionen im österreichischen Herbst von 2020? –> Panikmache, aufgebauscht. Wer geht freiwillig zu Massentests? Natürlich jene, die dafür vorher schon aufgeschlossen waren und vorher schon eher im privaten und beruflichen Bereich vorsichtig gehandelt hatten. Wer verweigert die Tests? Natürlich jene, die ......

Und so wirken wir als immer geballtere Meinungsgruppen auf die Regierenden zurück. Spiralige Rückkoppelungen aufgrund des Bestätigungsfehlers machen das möglich. Die Trump-USA bot in den letzten vier Jahren ein Lehrstück für den Bestätigungsfehlers. 90 Millionen folgen ihm auf Twitter.

Das Lehrstück zeigt im Herbst 2020 den vorläufig letzten dramatischen Akt: 74 Millionen US-WählerInnen wählten Donald Trump, obwohl er die meisten von ihnen über den Tisch zieht, sie schädigt und sich überdies noch im Abgang die Taschen mit Hunderten von Millionen Dollars füllt.

Und das alles, obwohl die Trump-Wähler das auf die eine oder andere Art mitkriegen! Untersuchungen belegen, dass nicht nur Angehörige der Unterschicht, sondern auch solche der traditionellen Mittelschicht und Hochgebildete ihn gewählt haben. Trump ist kein Clown, sondern der Jahrhundert-Großmeister des zuerst Bestätigens und dann souveränen Jonglierens mit vorgefassten Meinungen. Wir haben ihn alle unterschätzt.

Ehrlich, sind wir auf die eine oder andere Art aufgrund des Bestätigungsfehlers nicht auch Mini-Trump-Wähler? Wir bleiben auf den einmal gewählten Schienen, egal was kommt. Ein ganzes Psychologie-Studium könnten wir uns sparen, kämen wir uns hierbei auf die Schliche.

5. Dezember 2020

 


 Im Zug in der Nähe der Donau

 


 

Trump-Methode, Medienlogik und Interdisziplinarität

 

I don’t think science knows, actually“ So Trump auf die Frage nach der Ursache für die zahlreichen verheerenden Brände in Californien im Herbst 2020. Und setzt in Bezug auf den Klimawandel fort: „It will start getting cooler, just you watch“.

Wissenschaft ist Schwachsinn, so Trump - und spricht das alles ins Mikrofon, ein Gerät, das nur funktioniert, weil Wissenschaft die Grundlagen hierzu schon im 19. Jahrhundert erforscht und die Technik seither diese  konsequent umgesetzt hat. 
Das ist eine der Möglichkeiten, wie man als Zuhörer und Zuseher von Nachrichten über die Pandemie reagieren kann.

Ihr Wissenschaftler seid eigentlich eine Bande von Strohköpfen und habt keine Ahnung vom tatsächlichen Leben. MEINE Meinung zählt und sonst nichts. Dass wir Mini-Trumps uns als rationale Wesen aufgeben, ist evident.

Gründe für in den Medien aufploppende unterschiedliche Meinungen von ExpertInnen sind zahlreich. Hier seien dre (von vielen) genannt, wie es dazu kommen kann:

Die Medienlogik des Vereinfachens und Zuspitzens:  Wenn Christian Drosten als Virologe und Experte ein 45-Minuten-Interview gibt und hiervon zwei Minuten ausgestrahlt werden, so kann das richtig nicht mehr sein. Noch schlimmer, wenn der Leser eine hochdramatissche Überschrift in der Zeitung hierzu liest.

Ja, es ist klar, dass Berichterstattung über Wissenschaft die Komplexität reduzieren und vereinfachen muss. Es soll ja für Nichtspezialisten verständlich werden. Ungenauigkeiten entstehen zwangsläufig.

Das ist bis zu einem gewissen Punkt akzeptabel, irgendwann aber im Zuge des Übersimplifizierens kippt es und wird zu unheilbringendem Nonsense.

Die Medienlogik des aufgebauten Gegenspielers: Was wir Leser meist vergessen, die Medien selbst stehen in Wettbewerb untereinander. Allein schon aus dieser Situation heraus wird das eine oder andere Medium einen Gegenspieler zu einer herrschenden Fachmeinung aufbauen.
Die oft kleinen Unterschiede werden wie unter dem Vergrößerungsglas aufgebauscht und zugespitzt.

Nun wird das zuspitzende Medium vermehrt genutzt, und hurrah, Geld fließt (z.B. via erhöhte Werbeeinnahmen in der Folgezeit) an die Eigentümer.

Wir Leser fallen auf diese Masche rein und meinen: Die Expertinnen streiten ständig und sind untereinander uneins. Also hat das Expertentum irgendwas Faules an sich. Wie befriedigend ist doch da die Trump’sche Variante. Und wieder werden einige sie nutzen. Aufklärung ade!

Die Logik der Fachwissenschaft und die Mühsal interdisziplinärer Zusammenarbeit: ExpertInnen sind in der Regel Wissenschaftler, die Jahre und Jahrzehnte vom Stil ihres Spezialfachs und den Meinungen ihrer Kollegen sozialisiert (!) und geprägt (!) wurden. Das Zauberwort hier ist Paradigma, das Leitbeispiel.

Das ändert sich oft erst, wenn führende Vertreter von der Bühne abtreten.

 

Holt sich nun eine Regierung Rat von einem ExpertInnengremium, wird’s extrem schwierig, einen durchgehend einheitlichen Rat in dieser Gruppe unterschiedlich eingelernter Standpunkte, Sichtweisen und genutzter Methoden zu erreichen.

Im Grund geht dies auf rasche Weise nur, wenn diese ExpertInnen beispielsweise als Gruppe für mehrere Tage großen Gefahren ausgesetzt sind. Gefahren, die sie nur gemeinsam bestehen können.

 

Etwa eine mehrtägige Wanderung, die über Gletscher führt etc. Dann werden die Teilnehmer zu einer Ingroup und halten zusammen. Man fängt an, die Meinung der anderen zu schätzen. So besteht eine Chance, sich aus dem eigenen engstirnigen Fachdenken zu lösen.

Fruchtbares interdisziplinäres Denken, eine Fusion der Ansichten und Methoden führt anschließend meist zu einem  besseren Gesamtergebnis als es ein Experte in der Regel es je könnte.

28. November 2020

 

 

    Hauptplatz vom niederösterreichischen Tulln im Herbst

 


 

Covid-1, die Sackgasse der Multidisziplinarität 

 

Alternativ könnte der Titel dieses Beitrags sein: Viele Köche verderben den Brei

 

Enger und noch enger der Fokus, tiefer und tiefer der auszuhebende Schacht ... so lautet die gängige Maxime in den meisten Wissenschaftsdisziplinen. Und dabei wird übersehen, wie klein der blaue Himmel wird, wenn man zur Welt nach oben blickt.

Was kommt daher heraus, wenn sich spezialisierte Virologen, Immunologen, Fachmediziner, Soziologen, Psychologen, Ökologen oder Ökonomen an einen Tisch setzen, um Politikern in Notsituationen Empfehlungen zu geben? Widerstreitende Ansichten, Ärger, unsicher gewordene Politiker und BürgerInnen.

Die Idee, ExpertInnen ad hoc in eine Kommission zu setzen, funktioniert nicht! Kann nicht funktionieren, auch wenn sie öffentlichkeitswirksam Public Health-Kommission genannt wird.

Wer auch immer sich innerhalb solcher Kommissionen gegen (!) die anderen durchsetzt, die Empfehlungen werden logischerweise einseitig sein. Sie werden sich binnen weniger Tage ändern müssen Und das nicht nur, weil sich die Faktenlage geändert hat, sondern auch, weil sich dann eine anderere ExpertIn durchgesetzt hat.

Die Pandemie zeigt, dass in einem Raum versammelte Experten mit unterschiedlicher Spezialisierung einander nicht verstehen können. Sie werden differierende Empfehlungen abgeben, und bisweilen wird der eine oder die andere frustriert-trotzig unter lautem Mediengetöse davonlaufen.

Sie/er spricht dann ins Mikrofon eine 20-Sekunden-Zusammenfassung ihrer/seiner Sicht, die in dieser vereinfachten Form mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch ist.

Die gravierenden Folgen: Teile des aufmerksamen Publikums drehen den Wissenschaften den Rücken: „Die sagen mal so und mal so“. Und nicht wenige wenden sich Verschwörungstheorien zu wie Chem-Trails, QAnon, ... Das Mittelalter lässt grüßen. 

 

Bereits 1935 hatte ein Fleck, ein polnischer Arzt das Charakteristikum wissenschaftlicher Forschung durchschaut: Nach jahrzehntelanger Denk- und Methodenschulung als Student und Wissenschaftler denkst und handelst du eben wie die anderen deines Faches.

Ludwik Fleck sprach vom gleichförmigen Denk-Stil innerhalb eines gleichförmigen Denk-Kollektivs. 1962 nannte der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn diese sozial vereinheitlichte Grundauffassung Paradigma und wurde damit, anders als Fleck, weltberühmt. Kuhn erwähnt Fleck nicht einmal. Ein eklatantes akademisches Foul!

Der Haken an diesen Paradigmen, den Wissenschaftler und wir Menschen schlucken und an dem wir dann hängen, ist erheblich: Die Einzel-Paradigmen jeder sukzessive zunehmend spezialisierten Einzeldisziplin führen oft nur scheinbar zu einer präziseren Auffassung ihres zu einer Briefmarke geschrumpften Themenfeldes.

Die lawinenartig anwachsenden Sammelbände, in denen mehrere Autoren zu einem Thema schreiben, sprechen buchstäblich Bände. Einzelautoren behandeln das Thema des Buchrückens isoliert und gehen nicht aufeinander ein, nur der gemeinsame Buchdeckel hält sie äußerlich zusammen.
Das ist Multi-Disziplinarität in einer reinen, abstoßenden Form.

Denn der mikroskopische Blick verwehrt die Sicht auf das Ganze. Die Idee, viele schmale Einzelsichten nebeneinander zu stellen, also multidisziplinär vorzugehen, um eine Gesamtsicht zu erhalten, funktioniert nicht.
In aller Regelmäßigkeit stehen die Annahmen eines Einzelparadigmas im Widerspruch zu den Annahmen eines anderen.

Womit wir wieder bei den streitenden und nichtfunktionieren Covid-19-Kommissionen aller Länder, die sowas eingerichtet haben, angelangt sind. Wir betrachten das Dead-End isolierter Wissenschaftswege in engen Einzelsichten.

20. September 2020

 


  

 

 
 
 
Statistische Methoden sind wie Farbflecke oder Pinselstriche eines impressionistischen Malers.

In der Nähe sieht man nur einzelne Farbflecke oder Striche, tritt man mehrere Schritte zurück, wird ein ganzes Bild sichtbar. 

 

16. Juni 2020

 

Eindrücke aus dem Railjet am Morgen - Fahrt von Wien Richtung Süden 

 


 

Einige Gedanken zu Modell, einem in der Wissenschaft häufig verwendeten Begriff 

 

Schwenk von der steirischen Frauenalpe bei Murau: Hinter den tibetanischen Gebetsfahnen sieht man in der Ferne die Karawanken. Dann nach Westen: Man blickt auf die Nockberge und den nahen Kreischberg, dahinter liegt der Nationalpark Hohe Tauern. Ein Zoom zurück in das Murtal.  

 

19. Jänner 2020 

 


 

"Forscher schummeln mehr als Studenten"

 


So ein reißerischer Titel mit Wahrheitskern, der über Nacht verschwunden war.  
Am 20. Dezember 2019 ging eine Science-Meldung in jenem österreichischem Online-Netzwerk, das mit vier Millionen Usern pro Monat die größte Reichweite in Österreich hat. Der Titel hatte es in sich - kein Wunder, dass am nächsten Tag diese Meldung vom Netzwerk verschwunden war.

 
Diese Meldung berief sich auf eine fundierte und statistisch seriöse Meta-Analyse von 250 Masterthesen und Forschungsberichten in der Psychologie. Da muss gestern jemand (oder jemandin,  ;-) ) aufgeschrien und interveniert haben. Zum Teil berechtigt, aber eben nur zum Teil. Ein eher passender Titel hätte gelautet: 'Forscher schummeln anders als Studenten'.
 
Hm, vermutlich hätten die (wahrscheinlich universitär verlinkten) Aufschreier auch diesen passenderen Titel nicht geduldet. Das akademische Prestige steht nämlich auf dem Spiel - Universitätsprofessoren als Schummler? Nie und nimmer!
 
So sozial- und statuspsychologisch verständlich diese Intervention auch sein mag, vom Standpunkt der wissenschaftlichen Objektivität und faktenorientierten öffentlichen Ergebnisangebot her ein erhebliches Problem. 
 
Worum es in der zitierten Studie geht: Das Fach Psychologie hat ein Riesenproblem,  rund die Hälfte aller gefundenen Effekte und Zusammenhänge lassen sich auffinden, die andere Hälfte nicht (!). Das Ergebnis jeder zweiten Studie ist somit nicht replizierbar, wie es so schön heißt. Viel heiße Luft also trotz  tausender Psychologen, die jahrzehntelang quantitativ forschten?
 
Es schaut danach aus, als würde der gegenwärtige Hauptansatz der zahlengetriebenen akademischen Psychologie ('Der Mensch ist durch Statistik zu durchleuchten') in Luft auflösen.
 
Die zitierte Studie - eine Meta-Analyse - untersucht Masterthesen auf fragwürdige Forschungspraktiken wie
 
* Fehlen einer voherige Feststellung der benötigten Test-Trennschärfe,
* p-Hacking (ein unkontrolliertes Fischen nach signifkanten Zusammenhängen im Nachhinein),
* offensichtliche statistische Fehler in der Verwendung usw. Klar - Fehler sind in den Masterthesen zu finden,  und zwar Fehler, welche überwiegend auf mangelnde Methodenkenntnisse schließen lassen.
 
 
Das Spannende aber liegt im Vergleich zu den - in den letzten Jahren erkannten - systematischen Verzerrungen publizierender Forscher. Ja, die professionellen Forscher kennen sich deutlich besser aus mit statistischen Methoden. Nur zeigen sie andere problematische Verhaltensweisen, die mit der Grundidee von (Open) Science kollidieren:
 
* Diese sind etwa Publikations-Bias (positive Zusammenhänge werden eher publiziert als negative),
* Nicht-Vorregistrierung von Forschungsfragen, Hypothesen und Forschungsdesign,
* eine lückenhafte Offenlegung von Daten etc.
 
Die Gründe sind großteils bekannt: Karrieredruck wie publish or perish, prekäre finanzielle Situation der Forschenden in zunehmend ökonomistisch orientierten Universitäten und Fachhochschulen etc. 
 
So trägt jede Gruppe ihr Binkerl: die Masterstudenten können's noch nicht so gut. Die professionellen akademisch Forschenden jagen 24 Stunden am Tag dem Prestige nach oder müssen schlicht um's existenzielle Leiberl rennen.
--> Beides führt zu schlechten Studien. 
 
 
 
 
Perchtenlauf in St. Lambrecht/Steiermark im Dezember 2019
 
Olsen, J. /Mosen, J. /Voracek, M. / Kirchler, E. (2019): Research practices and statistical reporting in 250 economic psychology master's theses: a meta-research investigation. Royal Society Open Science. published: 18. december 2019, https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.190738  
 
21. Dezember 2019
 

 


 

Über das sogenannte Schreiben einer Masterthesis

 

Ja, natürlich wird eine Diplom- oder Masterarbeit (auch) geschrieben. Sie wird ja am Ende als Text-Datei (im docx- oder odt-Format) am Uni- oder FH-Server hochgeladen. 
 
Diese Datei jedoch stellt das DOKUMENTIEREN der Forschungsarbeit dar. Forschen besteht in erster Linie aus Problemklärung, Erstellen von Forschungsfragen, einem daraus folgenden, begründeten (teilweise kreativen) Forschungsdesign und einer Umsetzung, welche in erster Linie aus
Recherchieren,
Argumentieren,

Gliedern,
Analysieren,

Interpretieren,
Diskutieren,
Schlussfolgern
besteht.

Ich treffe auf viele Suchende, welche sich im Zuge des Schreibens (wie es etwa in AHS und BHS jahrzehntelang häufig unterrichtet wurde) verirrt hatten. Nach 30 oder 50 Seiten Geschriebenem stellen sie verzweifelt fest, nicht mehr weiterzuwissen. Sie sind im unendlich erscheinenden Meer von unzusammenhängenden Sätzen und Absätzen verloren gegangen.
 
--> Daher mein etwas provokanter Kommentar im folgenden Advent-Video.
 
 

 

Advent 2019 

 

 


 

Anfrage einer KlientIn,
ein Verlag hätte sich wegen Veröffentlichung ihrer Masterarbeit gemeldet 

 

Meine Antwort:

Nein, dieser Verlag sagt mir nichts, er ist aber nicht auf der schwarzen Liste (https://www.stan-marlow.de/schwarze-verlagsliste/). Mit einem der genannten Verlage hatte ich auch tatsächlich schlechte Erfahrungen gemacht. Der von dir genannte Verlag gehört aufgrund der angebotenen informationslinks der [Name]-Gruppe an.
Die dürften nicht insofern böse sein, als sie zusätzliches Geld verlangen, sie veröffentlichen halt nur - was immerhin etwas ist!
 
Wichtig ist zu beachten:
  • erwarte dir kein Geld.
  • erwarte auch keine Werbemaßnahmen und Lektorate seitens des Verlages.
  • lass' dir sagen, wie lange, wie viele jahre die Urheberrechte bei diesem Verlag sein werden. Versuch, diese Zahl (meist 5) zu verringern.
  • zahl' auch selber kein Geld (wie ‚Druckkostenbeitrag',  'Werbebeitrag' oder 'Datenvorratshaltungsgebühr') und lass' dir das schriftlich geben!
 
Grundsätzlich glaube ich, dass es sich auszahlt: Du gibst die Arbeit als veröffentlichte Forschungsarbeit (der Name des genannten Verlages allein klingt meist schon seriös) als Referenz auf deiner homepage an. Oder lässt dir einige wenige Exemplare drucken und fügst es deiner Hausbibliothek hinzu - die Familie ist stolz (in deinem Fall sehr berechtigt!).
 
Du kannst es auch als eine der Referenzen in einem Job-bewerbungsverfahren angeben. Eine Forschungsarbeit ist nämlich ein längerfristiges Projekt mit einer ganzen Menge von Hindernissen, die diszipliniert zu bewältigen sind. Auch das zeigt eine Masterthesis, eine über Jahre dahinlaufende und vollende Dissertation insbesondere. Unternehmen honorieren das, weil sie darin Biss, Zähigkeit und Durchhaltevermögen erkennen. 
 
 
 
 
 
Sommer 2019 
 

 


 

Vom Überholtwerden der Hohen Schulen

 

Liebe Unis, FHs und akademische Lehrgänge, die Mittleren (AHS und BHS) Schulen haben euch Hohe überholt! Die Mitte zeigt, wo's langgeht im 21. Jahrhundert.  Maturanten müssen eine VWA (Vorwissenschaftliche Arbeit) oder Diplomarbeit abliefern.

Und die ist gut strukturiert und spielt viele Stückerl. Erst mit einer positiven VWA erhalten Maturanten ihr Maturazeugnis. Wofür? Damit sie an Unis und FHs studieren können.

Und was macht ihr? Semester umd Semester wird Stoff gepaukt. Ein Aufbau methodischer und kritischer Kompetenzen - Fehlanzeige! Viel später erst gibt es zwei oder drei Seminararbeiten, die mit den VWAs und den Diplomarbeiten der Mittel-Schulen nicht mithalten können.

Dennoch sollen - quasi über Nacht - die Studierenden eine gekonnte Bachelor- oder meisterliche Masterarbeit abliefern. Doch woher sollen sie das können?

Benennen wir’s: das ist Systemversagen auf breiter Basis!  

 

 

Frühjahr 2019 

 



Nach zweimaligem Verschieben und Stornieren eines Workshop-Termins 

 

lieber Reinhard, leider muss ich auch diesen Termin wieder verschieben bzw absagen. bin leider nicht voran gekommen mim schreiben. [...] Tut mir total leid für dieses herumgeschiebe des Termines. normalerweise bin ich da konsequent, aber ich kann mich leider gar nicht fokussieren und komm einfach nicht weiter mit dem Schreiben im Moment. 

 

Meine Antwort:

hallo xxx,
hab deine nachricht erhalten und termin storniert. Erfahrungsgemäß bringen solche aufschiebungen von masterarbeiten nichts. Meistens wirds von mal zu mal schlimmer, da man ja den faden verloren hat. Besser ist es, die arbeit in einem zug fertigzustellen.

Vielleicht ein hinweis: die phrase „schreiben einer arbeit“ wird zwar gebraucht, ist aber irreführend. Das forschen gleicht eher einem hausbauen oder aus einem block ein werk wie ein bildhauer herausmeisseln.
Zu erheblichen teilen bist du eine künstlerin. die regeln einer forschungsarbeit fesseln einen nur scheinbar - in wirklichkeit eröffnen sie DIE räume für kreatives denken. 

 

 

Frühjahr 2019  


 

Anfrage zur Verteidigung bzw. Defensio

 

Meine Diss. wurde positiv bewertet, nun kommt die Verteidigung. Wie sieht eine Hilfestellung Ihrerseits bei der Vorbereitung auf die Disputation aus - auch in Hinsicht auf die Kritikpunkte der Gutachter? 

[...] da ich die Kritikpunkte im Detail nicht kenne, kann ich nur Allgemeines sagen: 

  • Die Begründungen ergänzen und verstärken, den roten Faden herausheben (bzw. knüpfen, wenn dieser unterbrochen oder teilweise nicht vorhanden sein sollte), die Modelle und Methoden prägnant darstellen.

  • Da eine Disputation ein anderes Kommunikationsmedium (eben ein mündliches) ist als eine geschriebene Diss, coache ich Sie, auf diese spezifischen Kanäle/Kennzeichen zu achten (ohne den wissenschaftlichen Wert der Diss in Frage zu stellen, sondern eher zu verstärken).

  • Eine Tip-top-Präsentation als Basis vorlegen.

  • Die spezifische psychosoziale Situation vorab einschätzen (wie ist die Kommission zusammengesetzt, wer hat möglicherweise welche Meinung, welche Fragen könnten kommen)  und Sie auf diese sehr spezielle Situation vorzubereiten. 

 

 

 

Sommer 2018

 


 

Eine weit verbreitete Studien-Sackgasse samt anschließender Lebenskrise 

 

Ich bin derzeit in einer Lebenskrise und finde keine Lösung, wie es weitergehen soll. Ich bin Student und lebe in einer Beziehung seit etwa 2 Jahren. Ich habe 10 Jahre studiert und schreibe schon seit ca. 1,5 Jahren an meiner Diplomarbeit.

Mein Diplomarbeitsbetreuer hilft mir sehr wenig puncto Betreuung und vertröstet mich ständig mit seinen Terminen und gibt mir zusätzlich dass Gefühl, dass meine Diplomarbeit völlig unwichtig ist. Finanziell läuft es derzeit auch recht schlecht für mich. Meine Freundin macht mir auch schon Stress, ...

 

Aus meiner damaligen Antwort:

die beschriebene Situation ist häufig, falls es Sie tröstet. An den Unis gibt es zu wenig Geld, Zeit und Engagement für eine persönliche Betreuung.

Das Verfassen einer akademischen Forschungsarbeit ist etwas anderes als Prüfungen zu absolvieren: Man braucht Motivation, methodisches Vorwissen, Übersicht über mögliche theoretische Hintergründe, eine effiziente Einteilung der Forschungsarbeiten, Analysieren und Darstellung im sachlich-objektiven Stil, usw. 

Aber um das Methodische zu erlernen, sind Universitäten da! Oft jedoch landet der Diplomand - allein gelassen - in einer Sackgasse. Mit negativen Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl, das Privat- und zukünftige Berufsleben.

Der Zweifel frisst sich ein. Und das unnötig! Denn das Verfassen von akademischen Arbeiten ist einfacher zu erlernen als die meisten meinen.

 

Kopf hoch und die besten Wünsche ! 


 

2002: Buddhistische Studenten schreiben eine Prüfung zur klassischen Sprache Pali