„Das ist nicht wissenschaftlich!“,

„Kreativ gedacht, bitte weiter so!“

Zwischen ungläubigem Kopfschütteln und Hochachtung schwanke ich, wenn der zuständige Betreuer Entwürfe oder fertige wissenschaftliche Arbeiten von StudentInnen kommentiert.

 

Da gibt es Betreuerinnen und Betreuer, die nach einem vorgegebenen und formal exaktest einzuhaltenden Schema achten. Ich hab‘ oft den – durch deren Kommentierungen begründeten - Eindruck, dass die das Formale einfordernden Betreuer ein Buch über wissenschaftliches Arbeiten gelesen haben und nun von den StudentInnen genau das und nur das einfordern. So wie es Buchhalter tun, deren Bilanzen am Ende auf Cent und Euro stimmen.

Sie finden sich, meiner allerdings nicht repräsentativen Erfahrung nach, besonders in privaten Lehrgängen. Offizielle Akkreditierungen dieser Lehrgänge durch das Bundesministerium und ein nachfolgendes buchstabengetreues Achten auf formale Anforderungen scheinen solche BetreuerInnen gehäuft hervorzubringen.

 

 

Dann gibt es Betreuerinnen und Betreuer, die souverän und anerkennend auf kreative Konzepte reagieren. Sie verlangen ein inhaltlich begründetes Anwenden in Kombination mit einem gekonnten Jonglieren von Theorien und Methoden gemäß Fragestellung und Untersuchungsdesign. Meiner nicht repräsentativen Erfahrung nach sind das häufig Lehrende, die  bereits Jahrzehnte an den Universitäten lehren, oft emeritierte Universitätsprofessoren.

 

Ja, ich ziehe diesen zweiten Typ von BetreuerInnen vor. Die Diplomanden und Dissertanden profitieren fachlich von diesem Typ. Auch werden Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit und Verständnis der Studierenden für das Forschen und kritischen Beurteilen von Konzepten durch diese Betreuer gesteigert. Wie es sein sollte, wie wunderbar!  

Ja, der Bilanzbuchhaltertyp ist ebenfalls zu knacken. Auch wenn er vielleicht nie verstehen wird, dass Forschen und Wissenschaft keine Verrichtung gemäß doppelter Buchhaltung ist und auch nicht sein kann - von einigen wenigen Bereichen in der Mathematik, Physik oder Technik mal abgesehen.

 

Ich sehe viele gegenwärtige Missstände als Auswüchse windschief geratener Systeme. Auch und gerade in privaten Lehrgängen stehen BetreuerInnen selber unter Druck: gering bezahlt, wenig Zeit, aber viel zu tun und im Endeffekt überfordert wie ihre StudentInnen auch.

An den Universitäten wiederum bringt das Betreuen oder Begutachten von Masterarbeiten null Prestige. Ja, es behindert die universitäre Laufbahn. Das viel kritisierte und rein quantitativ angewendete publish or perish ist in allen drinnen, die schiere Zahlengläubigkeit ist eben eine gegenwärtige Krankheit, die auch vor den hellsten Köpfen nicht Halt macht. Das Können und  Wissen für ein einfühlsameres Betreuen wären meist vorhanden, an der Zeit hapert's jedoch immer.

 

Selbstverständlich ist diese Darstellung zweier (extremer) Typen von BetreuerInnen überzogen - einen Hauch zumindest ;-) . Dieser Essay soll jedoch zeigen, dass es nicht nur an den Studierenden liegt, wenn vorgelegte Masterarbeiten und Dissertationen so sind, wie sie sind und nicht so, wie sie sein könnten.

 

Reinhard Neumeier

Juni 2018