Viele Menschen interessieren sich für alte Wahrheiten im Helfen und Heilen. Insbesondere für Methoden aus dem fernöstlichen Bereich. TCM steht als Abkürzung für Traditionelle Chinesische Medizin. Eine Internet-Suche nach „TCM“ brachte im September 2009 13,8 Millionen Treffer. Amazon bietet rund 600 Suchergebnisse für englische und deutsche Bücher und das zentrale Verzeichnis antiquarischer Bücher in Deutschland offeriert 630 Treffer für TCM als Schlagwort. Nicht schlecht, oder? So viel Interesse allein hier im Westen für die klassische traditionelle chinesische Medizin.
Im modernen China versteht man unter TCM das neue, von Mao initiierte Gesundheitswesen. Und DAS hat kaum etwas mit der echten klassischen Heilkunde im früheren Reich der Mitte zu tun. Mao ließ eine vereinfachte und großteils neue Lehre aus der reichen medizinischen Tradition erstellen. Ein Kunstprodukt, das nun 50 Jahre alt ist – und nicht 4.000 Jahre. Ist doch verständlich: Das Lebenswerk von Mao bestand aus dem Zerstören des Alten, des Bürgerlichen und Überkommenen. Sein Leben bestand aus permanenter Revolution. Die alte Welt zu zerschlagen, sah er als seine Lebensaufgabe. Um etwas Neues an seine Stelle zu setzen und sei das Neue noch so primitiv oder falsch.
Wie viele Stunden hatte ich selbst vor 25 Jahren in das Erlernen der 'Meridiane', der Leitbahnen der Energie laut TCM gesteckt. Quatsch – die gibt es nicht. Wieviele Stunden hatte ich vor 25 Jahren in das Verstehen der Grundregeln zur 5-Elemente-Ernährung gesteckt. Quatsch – die sind immer richtige Orakelsprüche ohne jeden realen weltlichen Hinweis. Mao hat uns naiven Westlern Comics hinterlassen, Medizincomics. Und wir lieben diese. Hunderte westliche Autoren schreiben voneinander ab und Millionen westliche Konsumenten nehmen sie gläubig mit glänzenden Augen auf. Geistige Comics der einfachsten Art. Maos Primitivkonzepte beeinflussen Millionen Esoteriker, Verängstigte und Komplementärmediziner weltweit.
Ja, Akupunktur, die verbreitetste der TCM-Methoden hat etwas an sich: Irgendwas funktioniert irgendwie und irgendwann. Zwei große deutsche Akupunkturstudien zeigten vor Kurzem, dass Akupunktur bei chronischen Knie- und Rückenschmerzen besser hilft als westliche Pillen. Nur war es völlig egal, wo die Nadeln gesetzt wurden. Die Einstichstelle hatte keine Bedeutung. Die theoretisch vorgegebenen Akupunkturpunkte und Leitbahnen wirkten nicht. Irgendetwas scheint beim Stechen uns zu beeinflussen. Allerdings wissen wir meist nicht, wann, was, in welchen Fällen und für wen das gut ist. Die dahinterliegende Theorie ist schlicht falsch. Wir stehen bestenfalls im wissenschaftlichen Stadium des Erstbeschreibens.
Wollen daher Sie, lieber Leser, wirklich Versuchskaninchen in TCM-Feldern wie Arzneimittel oder Ernährungslehre sein? Wirklich Labormaus spielen, um die Naivideen des kommunistischen China aus den fünfziger Jahren als Humbug zu entlarven - nachdem sich diese bei Ihnen als ungünstig erwiesen hatten? Wollen Sie im Falle einer ernsten Krankheit kostbare Zeit verlieren? Auf dass es dann für abgesicherte Maßnahmen zu spät ist?
Alles Gute, lieber Mao-Comic zum FÜNFZIGSTEN Geburtstag! Happy Birthday der 5-Elemente-Ernährung! Toll, wie ihr uns zum Narren macht. Toll, wie Nestroy Recht behält.
Reinhard Neumeier, September 2009
PS: Eine wichtige, vertrauenswürdige westliche Quelle zur Entstehungsgeschichte der 'Mao-Comics' ist Prof. Dr. Paul Unschuld, Vorstand des Stiftungsinstitutes für Theorie, Geschichte und Ethik Chinesischer Lebenswissenschaften an der Charité / Universitätsmedizin Berlin.