Hohes Fieber mit Symptomen ähnlich jenen bei Scharlach, der Blutdruck im Keller, Schwindelgefühle, ein sich rasch ausbreitender Hautausschlag, eine entgleisende Leber, etc.: Symptome des das tödlichen Toxischen Schock Syndroms. Patricia K., eine 25-jährige Mutter von zwei Kindern in Iowa/USA starb am 6. September 1980 am Toxischen Schocksyndrom.

Der Tod kam vier Tage nach dem Verwenden von Rely, einem Tampon aus Polyesterschaum. Tragischerweise nur wenige Wochen, bevor Procter & Gamble sein neues Produkt aus den Läden zurückzog. Viele junge Frauen hatten davor schon diesen Tod gefunden, weitere starben in den darauffolgenden Monaten. 

 

Es dauerte lange, bis die Medizinwissenschaft verstand, was hier vor sich geht. Prokter & Gamble hatte sein neues Produkt ziemlich korrekt von Medizinern testen lassen. Korrekt aus der Sicht des medizinüblichen Kausalmodells Wenn-Dann: Wenn eine Ursache, dann kommt (direkt) die Folge. Ein Modell, wie es jeder Klempner erfolgreich nutzt, um Gebrechen im Haushalt zu beheben.

Diesem Modell gemäß wurde die Produktsicherheit untersucht. Das Ergebnis der Labor- und klinischen Tests: Keine Komponente des Produkts verursachte Krebs oder zeigte auffallend negative Befunde.

 

 

Die Medizin stand daher Jahre ratlos vor einem – quasi aus dem Nichts auftauchenden - tödlichen Geschehen. Dass bestimmte Bakterien sich plötzlich vermehren, hatte man mit der Zeit zwar erkannt, aber bitte - die befinden sich doch seit Jahren als harmlose Mitbewohner in der Scheide.

Eine solche Ratlosigkeit im Sinne eines Die-Welt-nicht-mehr-Verstehens ist meist dann anzutreffen, wenn die leitende Weltauffassung versagt. Hinsichtlich Bakterien war (und gilt großteils noch) die Auffassung, dass der Mensch ein wehrhafter und mächtiger Zellverbund ist, der die bösen Bakterien der Außenwelt in Schach hält.

Wie das römische Weltreich bei Angriffen auf die äußeren Grenzen seine Legionen in die aufrührerischen Provinzen sendet, um die Angreifer niederzumachen: Ein imperiales Modell (männlicher) Überlegenheit. Mikrobiell sieht es den Menschen als einen straff organisierten Verband einheitlicher Zellen, der mittels seines Immunsystems Bakterien tötet. Realisiert ist hier das Modell eines simples Wenn-Dann-Ablaufs: Wenn Bakterien angreifen, dann bekämpfen Immunzellen diese.  

Die Wende bringt ein neues und reaktives Modell Anfang der 1980er Jahre. Mikroorganismen-Arten sind hier konstituierende (!) Mitspieler in einem menschlichen Ökosystem, das sich in einem dynamischen Gleichgewicht befindet. Wird das System verändert oder gestört, reagieren Subsysteme zunehmender heftiger.

 

Folge im Falle des Toxischen Schocksyndroms: Die bisher harmlosen Bakterien vom Staphylococcus aureus hatten sich aufgrund des – im Tampon in großen Mengen aufgesaugten und dort eingelagerten - Blutes vermehrt und begonnen, Gift abzusondern. Eigentlich simpel, doch blendet das herkömmliche statische Modell der Medizin solche Prozesse aus, die gibt es einfach nicht. Erst ein dynamisches reaktives Modell zeigt das wahre Geschehen. 

Ein historischer Fall, der zeigt, wie medizinisches Denken oft zu vereinfachend ist. Nur historisch? Nein, diese Vorfälle weisen weit in die Zukunft, denn technologisches Material wie Sensoren, Chips, Stents, Platten oder Nanopartikel aller Art werden zunehmend häufiger im Körper eingesetzt. Und bewirken oft Gutes, aber oft - vorab ausgeblendetes - Schlechtes. Fazit: Geeignete Theorien helfen frühzeitig, Nachteile zu erkennen und wenden so Schaden ab. 

Reinhard Neumeier
Juli 2019 

Eine detaillierte Übersicht zu den Geschehnissen vor rund 30 Jahren bietet Sharra L. Vostral (2011): Rely and Toxic Schock Syndrome: A Technological Health Crisis. Review. Yale Journal of Biology and Medicine 84 (2011), S. 447-459